Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis
selbst und Seyha, um die Kinder, die sie hätten haben können ...
»Es ist nicht wahr«, brachte er mühsam erneut hervor.
Sie hätten jederzeit Kinder haben können, aber Seyha wollte nicht. Sie wollte nicht, sie ...
Bill öffnete die Augen und starrte auf das Bett, das jäh in unmögliche Ferne entschwand. Dabei brüllte er abermals: »Es ist nicht ...«
Er befand sich wieder im Wohnzimmer. Sein Mund erstarrte, als er das letzte Wort bildete. Joyce kniete auf dem Boden, lehnte sich erschöpft an Gem. Seyha stand hinter der Geistlichen. Als Bill sie erblickte, schaute er zu Boden und erwartete, die mit seinem Blut vermischten Plastikteile zu sehen.
Seine Finger waren verkrampft, aber unversehrt. In ihnen befand sich nichts. Nur vier Abdrücke an jeder Handfläche verrieten, wo sich die Fingernägel hineingebohrt hatten.
»... wahr«, vollendete er den Satz.
Er ließ das Wort emportreiben und folgte ihm mit den Augen zur besorgten Miene seiner geliebten Frau.
DRITTE NACHT DER FINSTERNIS
Seyha berührte abwesend ihren Hinterkopf, weil sie sich vage an Schmerzen erinnerte, als würden ihr die Haare ausgerissen. Überschattet wurde alles vom Anblick ihres auf dem Boden knienden Mannes. Bill starrte sie an. Er hatte geweint, war mit den Gedanken woanders gewesen. Sein Blick wirkte verschwommen, seine Lippen bewegten sich, als betete er.
Sie musste zu ihm gehen, neben ihm auf den Boden sinken, den Mann in die Arme nehmen, den sie liebte, und ihm sagen, dass alles gut werden würde.
Dann konzentrierte er sich eingehender auf sie und verkniff die Lippen. Plötzlich wollte sich Seyha nicht mehr bewegen, fürchtete sich davor, was das bohrende Starren bedeuten mochte. Joyce drehte sich um und nahm Seyhas Gegenwart lediglich mit einem teilnahmslosen, müden Blick zur Kenntnis. Sie wandte sich wieder Bill zu, als sich dieser langsam auf die Beine rappelte. Er sah aus, als hätte er Schmerzen. Erneut wollte Seyha zu ihm laufen, diesmal jedoch aus anderen Gründen.
Er schaute nicht mehr in ihre Richtung, sondern hinter sich, zum Flur.
Erst, als er sich ein letztes Mal umdrehte und »Nein«, flüsterte, ehe er durch das Esszimmer rannte, begriff Seyha endgültig, was ihm gezeigt worden sein musste. Bill stolperte über ein Stuhlbein. Der Stuhl kippte seitwärts und schien sich wieder aufzurichten, bevor er doch mit einem lauten Knall auf den Hartholzboden fiel. Bill ruderte wie betrunken mit den Armen, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen, dann verschwand er den Flur hinab.
Joyce setzte sich aufrechter hin, schauderte und schlang die Arme um sich. Gem schien bislang weder Bill noch Seyha wahrgenommen zu haben. »Es geht mir gut, Gem, danke«, behauptete Joyce.
»Das bezweifle ich«, erwiderte Gem. »Aber ...« Ohne den Satz zu vollenden, drückte sie sanft die Schulter der Geistlichen.
Seyha hatte keine Zeit für die beiden. Sie durfte nicht zulassen, was Bill und ihr zu widerfahren drohte. Schwester Angelique hatte gesagt, es gäbe noch eine Chance – vielleicht stimmte das.
Während sie an den Möbeln vorbeiging, die auszusuchen sie und Bill Wochen gebraucht hatten, stellte sie sich vor, was im Schlafzimmer gerade geschehen mochte. Natürlich war ihm die Schublade gezeigt worden. Nun würde er davor stehen, sie aufziehen und erkennen, dass seine Frau gelogen hatte, als sie sagte, sie sei verschlossen. Er würde begreifen, dass sie in jeder Hinsicht gelogen hatte. Seyha erreichte den Flur und erstarrte, als sie seinen Aufschrei hörte.
In dem Geräusch schwang keine Furcht, sondern eine andere Art von Grauen mit, das Grauen eines entsetzlichen Verrats. »Nein, nein, nein!« Mit jeder Wiederholung schwoll seine Stimme an und wurde schriller.
Dann trat Bill so plötzlich auf den Flur heraus, als wäre er aus dem Zimmer gestoßen worden. In einer Hand hielt er die Kunststoffverpackung. Kurz starrte Seyha darauf, dann zwang sie sich, zu ihm aufzuschauen, in sein Gesicht – das Gesicht des Mannes, den sie geheiratet, den sie vor Gott zu lieben und zu ehren geschworen hatte.
Seine Züge waren dermaßen verzerrt, dass sie ihn kaum erkannte. Sein Mienenspiel wechselte zwischen Wut, Schmerz, Hass und Ungläubigkeit, die miteinander um die Oberhand rangen, während er die verquollenen Augen zukniff. In diesem Augenblick sah er wahnsinnig. Vielleicht war er es auch – in den Wahnsinn getrieben von ihr.
Rings um sie begann das Haus erneut zu ächzen und zu stöhnen.
»Warum?«, presste Bill hervor. Seyha konnte ihn
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