Plan D
Seitenfenster, drehte sich nach rechts, nach links, eine unentschlossene, hautfarbene Beule. Mitten auf der Beule ein Pflaster. Der Universal stand schräg, gab auf, preschte davon.
»Vielleicht waren es ja auch die Typen von damals«, sagte Wegener.
»Was soll das heißen, die Typen von damals?«
»Altkader. Die angeblich 89/90 so vorgegangen sind. Typen, die zu Honeckers Zeiten gut im Geschäft waren. Dann kommt die Wiederbelebung, ihr Erich geht in Rente, Krenz wird die Numme r 1, Schily löst Mielke ab, im Zuge von Reformen und Neuausrichtung fliegen sie raus. Aber irgendeine Rechnung ist noch offen.«
»Theoretisch möglich«, brummte Borgs. »Aber einundzwanzig Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Warum erst jetzt?«
»Vielleicht hatte sich unser Schnürsenkelmann besonders gut versteckt.«
Borgs sah unzufrieden aus. »Und dann trotzdem noch diese Inszenierung? Wen soll das denn heute noch erschrecken?«
»Andere Verräter von damals. Keine Ahnung. Vielleicht haben sie es auch nur aus Prinzip gemacht. Aber das ist alles witzlos, so lange wir nicht wissen, ob der Alte überhaupt bei der Sicherheit war.«
»Wir müssten erst mal wissen, wer der Mann überhaupt ist.«
Wegener setzte sich wieder. »Und wenn’s nur um die Pipeline geht? Um die Konsultationen?«
»Hab ich auch schon dran gedacht. Russenmafia. Ein alter Spinner, der seine Schmiergelder nicht abgeführt hat. Aber die Russen machen das anders.«
»Russisch.«
»Zum Beispiel. Was sagt dir das mit dem zerbeulten Autodach?«
»Improvisation. Oder noch ein Symbol, eins, das nur Insider verstehen. Aber warum nehmen sie die Kennzeichen mit?«
»Keine Ahnung.« Borgs ließ seine Beine von der Schreibtischkante rutschen. »Mir ist vor allem eins wichtig: Man wird sich die ganze Chose am Werderschen Markt sehr bald sehr genau angucken. Und das ZK hält seinen Rüssel höchstpersönlich rein. Was für uns heißt, wir machen exakt das, was wir machen sollen. Keinen Handgriff mehr und keinen weniger. Ich muss Kallweit nicht noch Angriffsfläche bieten, nur weil der den Diensten mehr Befugnisse zuschustern will.«
»Dann bin ich wohl raus.«
»Fast.« Die mürrische Dogge Borgs wurde zur listigen Dogge Borgs. »Heute Nacht haben sie einen Briefumschlag im Mantel des Toten gefunden. Suche nach Abdrücken läuft noch.« Die listige Dogge schob sämtliche Fotos zur Seite, fuhr mit dem Zeigefinger über die Schreibtischunterlage, blieb an einer Notiz hängen. »Der Umschlag ist handschriftlich adressiert an einen Emil Fischer, nur der Name, keine Anschrift, keine Briefmarke, nichts. Im Umschlag ein Zettel, Computerausdruck. Text: Liebe Nachbarn, liebe Genossen, am Samstag den 22.10.2011 feiern wir unseren Geburtstag. Falls es etwas lauter werden sollte bitten wir um Verständniß. Verständnis hier mit ß geschrieben. Mit freundlichen Grüssen, Grüße mit Doppel-S , M. Radecker, I. Dedelow, 16. OG. «
»Dann könnte Fischer der Tote sein«, sagte Wegener.
»Oder einer von den Absendern, der es nicht mehr geschafft hat, den Umschlag bei Fischer einzuwerfen.«
»Oder so.«
»Vielleicht hat auch nur jemand Fischers Briefkasten aufgebrochen, man weiß es nicht. Christa hat schon nachgeschaut, Redecker, Dedelow und Fischer gibt es in dieser Kombination nur einmal. In der Ludwig-Renn-Straß e 32.« Borgs wuchtete sich aus seinem Stuhl, watschelte zum Fenster, klappte die Doppelflügel wieder zu und zog den Vorhang gerade. »Du kümmerst dich heute noch um die Sache, vielleicht kriegst du die Identität geklärt, ein paar Nachbarschaftskommentare, dann stehen wir nicht mit leeren Händen da. Bitte einen ausführlichen Bericht, formvollendet.«
»Morgen Abend?«
»Spätestens morgen Vormittag. Dann machen wir Dienst nach Vorschrift, bis die uns das Ding abnehmen. Ich setz mich gleich mit den Herren auseinander. Und wenn man dich noch sehen will, Martin, was ich stark annehme, dann geb ich dir einen guten Tipp.«
»Schnauze halten«, sagte Wegener.
»Von Borgs lernen, heißt siegen lernen.« Die Dogge ließ sich zufrieden in ihren Stuhl plumpsen.
3
V oss müffelte. Bislang hatte Wegener nur davon gehört, dass Voss müffelte, jetzt roch er es. Voss müffelte nach ungewaschenen Elasta-Feinripp-Unterhemden aus dem VEB Sigmund Jähn, nach filterlosen Karo-Kippen, nach Zwiebeln, Knoblauch, Zahnstein, nach der penetranten Sorge um die exakte Einhaltung der Straßenverkehrsrichtlinien und nach irgendwas anderem, das Wegener nicht identifizieren konnte.
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