Plasma City
gehobenen Mittelklasse gebaut worden, aber die Nachfrage ist ausgeblieben. Ein Drittel der Wohnungen steht leer, der Rest wird unter Preis verschleudert. Wenn sie selbst verkaufen will, bekommt sie weniger heraus als sie eingezahlt hat.
Gil will sowieso nicht verkaufen. Er würde sagen, das käme dem Eingeständnis ihrer Niederlage gleich.
Niederlagen kommen für Gil einfach nicht in Frage. Aiah sieht das anders. Ihre ganze Kultur, die ganze Nation der Listigen, sie alle haben sich vor drei Generationen auf spektakuläre Weise selbst ein Bein gestellt und nach diesem Akt der Selbstzerstörung gibt es nichts mehr, was die Trümmer wieder zusammenflicken konnte. Sogar die Metropolis von Barkazi ist verschwunden, das einst selbständige Land ist von den ehemaligen Nachbarn in Verwaltungsbezirke aufgeteilt worden. Niederlage und Demütigung liegen in der Luft, seit Aiah als Kind den ersten Atemzug getan hat. Als sie das Stipendium für die Rathene School und dann für die Universität gewann, waren alle ihre Verwandten der Ansicht, dabei könne nichts Gutes herauskommen. Die bringen dir da nur bei, dein eigenes Volk zu verraten, hat ihre Mutter behauptet.
Nun ja, vielleicht stimmt das sogar. Damals hat sie die Jaspeeri mit ihrem unerschütterlichen Optimismus bewundert. Von dieser Selbstsicherheit angesteckt, hat Aiah sich für Geomantie eingeschrieben, obwohl ihr Stipendium die Gebühren für das nötige Plasma nicht abdeckte.
Die zwei Jahre Theorie waren kein Problem, aber nach der Theorie kam die Praxis, und dort ist sie in die Sackgasse geraten. Sie konnte sich die Ausbildung einfach nicht leisten. Deshalb hat sie sich für den Verwaltungslehrgang entschieden und sich nach dem Abschluss bei der Plasmabehörde beworben. Der öffentliche Dienst stellt Barkazil ein, und im Hinterkopf hegte Aiah den Gedanken, durch die Arbeit für die Behörde könnte sie wenigstens etwas über das Plasma lernen.
Gil war der selbstbewussteste Mann, den sie je gesehen hatte. Eine Zeit lang dachte Aiah, Gil und seine Leute hätten irgendwie den Zauber gefunden, den ihre eigenen Vorfahren verloren hatten. Er hatte eine helle Haut, war ein Jaspeeri und praktizierte seinen Optimismus wie eine Religion.
»Alle Barkazil-Helden sind Verlierer«, hatte er einmal gesagt, nachdem sie ihm ein paar Geschichten aus der Überlieferung ihres Volks erzählt hatte. »Ist dir das schon einmal aufgefallen?«
Erst als er es erwähnte, fiel es ihr auf. Sie dachte an Karlo, den größten Barkazil-Helden, dem man angeboten hatte, sich zu den Aufgestiegenen Meistern zu gesellen. Doch er hatte abgelehnt und war wie alle anderen vom Schild eingesperrt worden. Und dann Chonah, die sich mit brillanten Tricks durchs Leben geschlagen hatte, bis sie alles verloren und sich von einem Haus gestürzt hatte. Sie ist jetzt die unsterbliche Schutzpatronin der Straßenhändler. Und der Metropolit Trocco, der sich mit der Prostituierten Thymmah eingelassen hatte und …
Ja, Gil hat Recht.
Gil hat keine Verlierer-Helden. Seine Vorbilder sind die Aufgestiegenen Meister oder Leute, die in verschiedenen Bezirken als Metropoliten eingesetzt wurden, oder sie haben mindestens in den letzten Sekunden eines wichtigen Spiels den Siegtreffer gemacht. Er liest Bücher, mit denen man lernen kann, wie man sich auf positive Gedanken konzentriert und erfolgreich ist, und er hat ihr mehr als einmal feierlich erklärt, wie das alles funktioniert.
»Das menschliche Bewusstsein erzeugt auch selbst Plasma«, sagte er. »Du musst es nur für dich arbeiten lassen.« Das entsprach zwar nicht dem, was sie in den Geomantiekursen auf der Universität gelernt hatte, aber es konnte nicht schaden, wenn sie einfach mal daran glaubte.
Erfolgreiche Gedanken. Sie hat monatelang erfolgreiche Gedanken gehegt, aber immer noch gehen beinahe täglich Rechnungen bei ihr ein, die sie nicht bezahlen kann.
Sie überlegt kurz, ob sie ihren Vater um Hilfe bitten soll. Sie ist ihm im ganzen Leben nur dreimal begegnet, er hat die Familie verlassen, als sie zwei Jahre alt war. Vor ein paar Jahren, kurz nachdem Aiah von der Behörde eingestellt worden ist, hat er sie angerufen. Eine Stimme am Telefon, an die sie sich nicht erinnern konnte. Er hat gefragt, ob sie zum Abendessen ausgehen könnten.
Sie konnte sich nicht einmal an das Gesicht erinnern. Ein Fremder in mittleren Jahren, rundlich und recht wohlhabend, Teilhaber eines Automatenrestaurants. Nach der Trennung von Aiahs Mutter hat er noch einmal geheiratet
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