Plasma
vorzugehen. Der Rebellen-Angriff aus New Mexico ließ jedoch auf sich warten, und sie wussten nicht, warum. In der letzten Funkbotschaft aus Leadville hatte es nur geheißen, sie sollten sich weiterhin bereithalten.
»Begleiten Sie mich ein Stück«, sagte Hernandez. Er musste den Schein wahren, dass er sich ins Freie begeben hatte, um die übrigen Unterstände zu überprüfen, und deshalb beschloss er, sich kurz in Bunker 4 zu zeigen.
Die Sterne leuchteten nur spärlich, aber im Osten ging soeben der Mond auf. Die knochenfahle Sichel würde etwa zwanzig Minuten zwischen dem gezackten schwarzen Rand der Erde und der glatten Linie der Wolken stehen, ehe sie hinter deren Vorhang verschwand.
Hernandez vermied es, direkt in den Himmel zu schauen, weil ihn der helle Schein blendete. Seine Augen waren überempfindlich und fühlten sich riesig an. Stattdessen horchte er auf das gedämpfte Scharren seiner Stiefel auf dem hellen Felsuntergrund. Er bewegte sich langsam, aber sicher durch eine Welt der Stille und der Schatten. Gilbride stolperte. Hernandez drehte sich um und umklammerte seinen Arm. »Sachte, Nate«, sagte er.
Er glaubte nicht, dass ein Luftangriff aus New Mexico bevorstand. Irgendwo aber braute sich etwas Größeres zusammen. Die Rebellen schienen das auch zu spüren. Tatsächlich wussten die Rebellen wohl mehr als Hernandez, denn sie konnten sich auf Satellitenmaterial stützen, während hier oben mehr oder weniger Funkstille herrschte.
Drei Tage zuvor war von Leadville aus eine ganze Flotte von C-17- und C-130J-Transportern gestartet – insgesamt fünfundvierzig Stück, wenn er richtig gezählt hatte. Die Maschinen waren in zwei Gruppen nach Südosten geflogen – die C-17 etwas schneller als die älteren Turboprop-C-130J. Welches Ziel hatten sie angesteuert? Jeweils sechs Kampfflugzeuge vom Typ F-22 Raptor hatten den beiden Gruppen Geleitschutz gegeben, aber Hernandez konnte sich nicht vorstellen, dass es sich um eine Offensive gegen New Mexico oder Arizona handelte, und zwar schon deshalb nicht, weil die Maschinen nach einem Angriff binnen weniger Stunden zurückgekehrt wären.
Seiner Ansicht nach war die Evakuierung Russlands endlich ins Rollen gekommen. Die Transporter mussten um die halbe Welt geflogen sein, doch zuerst hatten sie einen Haken geschlagen, um den Rebellen und Kanada auszuweichen. Weshalb also griff New Mexico nicht an? Leadville verfügte im Augenblick über zu wenige Maschinen für einen Luftkrieg, und er bezweifelte, dass die Rebellen abwarten würden, um die diplomatischen Beziehungen zwischen Leadville, Indien und den Russen nicht zu gefährden. Oder hofften sie etwa, dass sie sich mit dem neuen indisch-russischen Staat verbünden könnten, nachdem sie Leadville besiegt hatten? Dann zögerten sie den Angriff vielleicht hinaus, bis die russische Evakuierung abgeschlossen war. Es hatte schon weit merkwürdigere Abkommen gegeben, wenn man die Kriege der Vergangenheit betrachtete.
Hernandez steckte selbst mitten in einer kleineren Verschwörung. Vor einer Woche hatte er seine Stellvertreter angewiesen, Kontakt zu den anderen Einheiten in der Gegend herzustellen. Eine heikle Aufgabe. Die erste Annäherung erfolgte durch Gilbride und Lowrey. Bloß ein paar persönliche Gespräche, ganz ohne Funkgeräte. Wo sind eure Schwachstellen? Sollen wir uns gegenseitig Feuerschutz geben? Was fehlt bei euch? Wir könnten ein paar Decken entbehren, wenn ihr uns mit Aspirin versorgt.
Die Entscheidung, Gilbride und Lowrey als Boten einzusetzen, war zugleich ein vorsichtiges Signal an seine eigenen Soldaten, denn die Abwesenheit der Sergeants über zwei oder drei Tage hinweg ließ sich nicht ohne Weiteres verheimlichen. Außerdem hatte sich Hernandez ein wenig umgehört und erkannt, wie wütend und verzweifelt seine Marines waren.
Und er hatte zwölf Beförderungen vorgenommen, doppelt so viele wie geplant. Die meisten davon waren mehr als verdient. Nur einer bekam die neuen Streifen, weil Hernandez hoffte, damit einen Unruhestifter zu besänftigen. Aber diese Dinge stellten keine Dauerlösung dar. Sie schoben das Problem nur hinaus. Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft musste sich Hernandez festlegen und den Schritt tun, der Verrat hieß. Und die Tage verrannen im Nu. Der 2. Juni schien eine Ewigkeit vom Winter entfernt zu sein, doch hier oben wechselten die Jahreszeiten schnell. Hernandez hatte nur noch zehn bis zwölf Wochen, um zu entscheiden, wie zum Henker es weitergehen sollte, wenn der
Weitere Kostenlose Bücher