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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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einen Krimi von Agatha Christie, Das Eulen haus.
    »Agatha Christie?« sagte ich wie benommen.
        »Lesen Sie es trotzdem. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie das interessiert.«
        Ich nickte stumpfsinnig. »Gehen Sie nicht zum Mittagessen?« fragte sie nach einer Minute. » Es ist schon ein Uhr. «
        »Nein... Nein, ich glaube nicht.«
        » Sie mögen wohl das Gruppenleben nicht allzu sehr?«
        Unnötig, ihr zu antworten; ich lächelte. Wir nahmen unsere Sachen und gingen gemeinsam fort. Auf dem Weg zum Hotel begegneten wir Lionel, der wie eine verlorene Seele umherirrte; er winkte uns freundlich zu, schien sich aber schon längst nicht mehr so gut zu amüsieren. Nicht ohne Grund trifft man so selten alleinreisende Männer in den Ferienclubs an. Man sieht, wie sie nervös am Rande der Freizeiteinrichtungen stehen. Meistens machen sie kehrt, manchmal versuchen sie ihr Glück und nehmen an etwas teil. Ich ließ Valérie vor den Tischen des Restaurants allein.

    In jeder Geschichte mit Sherlock Holmes erkennt man natürlich die charakteristischen Züge des Protagonisten wieder; aber außerdem versäumt es der Autor nie, ein neues Element hinzuzufügen (das Kokain, die Geige, die Existenz des älteren Bruders Mycroft, die Vorliebe für italienische Opern..., gewisse Dienste, die früher manchen herrschenden Familien geleistet worden sind..., die erste Affäre, die Sherlock bereits als Jugendlicher gelöst hat). Bei jeder neu enthüllten Einzelheit zeichnen sich neue Dunkelzonen ab, und so entsteht schließlich eine wirklich faszinierende Romanfigur: Conan Doyle ist es gelungen, eine perfekte Mischung aus der Freude am Entdecken und der Freude am Wiedererkennen zu schaffen. Ich habe immer den Eindruck gehabt, daß Agatha Christie dagegen der Freude am Wiedererkennen einen zu großen Platz einräumt. In ihren anfänglichen Beschreibungen von Poirot tendiert sie dazu, sich auf ein paar Standardsätze zu beschränken, die auf die offensicht lichsten Eigenschaften des Protagonisten begrenzt sind (seine fast manische Vorliebe für Symmetrie, seine Lackstiefel und die sorgfältige Pflege seines Schnurrbarts); in ihren schwächsten Romanen hat man sogar den Eindruck, als seien diese einleitenden Sätze einfach voneinander abgeschrieben und von Buch zu Buch übernommen worden.
        Der Reiz vom Eulenhaus liegt jedoch woanders. Noch nicht einmal in der ambitionierten Figur der Bildhauerin Henrietta, an der Agatha Christie nicht nur die Qualen des künstlerischen Schaffens (die Szene, in der Henrietta eine ihrer Statuen, nachdem sie diese gerade mit vieler Mühe fertiggestellt hat, zerstört, weil sie spürt, daß irgend etwas fehlt), sondern auch das spezifische Leiden darzustellen versucht, das mit dem Künstlerdasein verbunden ist: die Unfähigkeit, wirklich glücklich oder unglücklich zu sein; wirklich Haß, Verzweiflung, große Freude oder Liebe zu empfinden, diesen ästhetischen Filter, der sich unerbittlich zwischen den Künstler und die Welt schiebt. Die Autorin hat sehr viel von sich selbst in die Romanfigur gelegt, und ihre Aufrichtigkeit ist unbestreitbar. Leider wird der Künstler, der gewissermaßen eine Außenseiterstellung einnimmt und die Dinge auf zweifache, ambivalente Weise empfindet - folglich nicht so brutal -, eben dadurch zu einer weniger interessanten Romanfigur.
        Agatha Christie, die zutiefst konservativ war und dem Gedanken einer sozial gerechteren Verteilung der Reichtümer feindlich gegenüberstand, vertrat während ihrer ganzen langen Laufbahn als Romanautorin sehr klare ideologische Positionen. Aufgrund dieses theoretisch radikalen Engagements konnte sie sich in der Praxis erlauben, bei der Beschreibung der englischen Aristokratie, deren Privilegien sie verteidigte, häufig sehr grausam zu verfahren. Lady Angkatell ist eine manchmal fast erschreckende, burleske Figur an der Grenze der Glaubwürdigkeit. Die Autorin ist von dieser Romanfigur fasziniert, die sogar die Umgangsregeln vergessen hat, die unter normalen mensch lichen Wesen gängig sind. Agatha Christie hat sich vermutlich köstlich dabei amüsiert, solche Sätze zu schreiben wie: »Es ist äußerst schwer, richtig Bekanntschaft zu machen, wenn man einen Mordfall im Hause hat«; aber ihre Sympathie gehörtsicherlich nicht Lady Angkatell. Dagegen zeichnet sie ein sehr warmherziges Porträt von Midge, die gezwungen ist, sich ihren Lebensunterhalt in der Woche als Verkäuferin zu verdienen, und die

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