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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Animierlokale, überall ist das Lächeln käuflich geworden. Und die Bungalows für Routards sind einem Lifting mit der Planierraupe zum Opfer gefallen, um Platz zu schaffen für Hotels für einsame, dickwanstige Europäer.«

    Wir sollten zwei Nächte in Patong Beach verbringen. Ich setzte mich zuversichtlich in den Bus, bereit, meine Rolle als einsamer, dickwanstiger Europäer zu spielen. Die Rundreise sollte ihren abschließenden Höhepunkt mit drei Tagen zur freien Verfügung auf der Insel Koh Phi Phi finden, einem Reiseziel, das traditionellerweise als paradiesisch angesehen wird. »Was soll man über Koh Phi Phi schon sagen?« beklagte sich der Reiseführer. »Es ist fast, als bäte man uns, über eine enttäuschte Liebe zu sprechen ... Man möchte gern etwas Gutes sagen, aber mit einem dicken Kloß in der Kehle.« Dem Masochisten mit Manipulationsbedürfnis reicht es nicht, daß er selbst unglücklich ist; auch die anderen sollen es sein. Nach dreißig Kilometern hielt der Bus, um zu tanken; ich warf meinen Guide du Routardin die Mülltonne der Tankstelle. Der westliche Masochismus, sagte ich mir. Zwei Kilometer später wurde mir bewußt, daß ich diesmal wirklich nichts mehr zu lesen hatte; ich würde die letzten Tage der Rundreise ohne jeglichen gedruckten Text als Schutzschirm verbringen müssen. Ich blickte in die Runde, mein Herzschlag hatte sich beschleunigt, die Außenwelt kam mir plötzlich viel näher vor. Auf der anderen Seite des Mittelgangs hatte Valérie ihren Sitz schräg gestellt; sie schien zu träumen oder zu schlafen, ihr Gesicht war der Scheibe zugewandt. Ich versuchte, ihrem Beispiel zu folgen. Draußen zog die Landschaft vorbei, die sich aus unterschiedlichen Pflanzenarten zusammensetzte. In meiner Verzweiflung lieh ich mir von René seinen Guide Michelin aus; ich erfuhr darin, daß die Pflanzungen von Kautschuk
    bäumen und der Latex eine entscheidende Rolle für die Wirtschaft dieser Region spielt: Thailand ist auf dem Weltmarkt der drittgrößte Kautschukproduzent. Diese verworrene Vegetation dient also zur Herstellung von Kondomen und Reifen; die menschliche Erfindungsgabe ist wirklich bemerkenswert. Man kann den Menschen in so mancher Hinsicht kritisieren, aber diese Sache kann man ihm nicht nehmen : Man hat es tatsächlich mit einem erfinderischen Säugetier zu tun.

    Seit dem Abend am River Kwai war die Aufteilung der Tische endgültig geregelt. Nachdem Valérie sich für das, wie sie es nannte, »Lager der Spießer« entschieden hatte, hatte Josiane sich zu den Naturheilpraktikern gesellt, mit denen sie gewisse Wertvorstellungen teilte - wie zum Beispiel die Praktiken, die die innere Ruhe zum Ziel hatten. Beim Mittagessen konnte ich daher aus der Ferne einen richtigen Wettstreit der inneren Ruhe zwischen Albert und Josiane verfolgen, und zwar unter dem aufmerksamen Blick der Ökofreaks, die in einem gottverlassenen Nest in der Franche-Comté wohnten, wo ihnen natürlich weniger Praktiken zur Verfügung standen. Babette und Léa hatten, obwohl aus dem Pariser Raum stammend, nicht viel zu sagen, bis auf ein gelegentliches »Das ist Spitze«; die innere Ruhe war für sie nur ein mittelfristiges Ziel. Insgesamt gesehen hatten wir es mit einem gut ausgewogenen Tisch mit zwei natürlichen Füh rergestalten unterschiedlichen Geschlechts zu tun, die ein aktives Einverständnis entwickeln konnten. Auf unserer Seite kam die Sache nur mühsam in Gang. Josette und René gaben in regelmäßigen Abständen Kommentare zur Speisekarte ab, sie hatten sich sehr gut an die hiesige Küche gewöhnt, Josette äußerte sogar die Absicht, sich gewisse Rezepte geben zu lassen. Ab und zu kritisierten sie die Gruppenmitglieder am anderen Tisch, die sie als eingebildete Angeber ansahen; all das konnte uns nicht sehr weit führen, und ich wartete im allgemeinen ungeduldig auf den Nachtisch.
        Ich gab René den Guide Michelin zurück; es blieben noch vier Stunden Fahrt bis Phuket. In der Bar des Restaurants kaufte ich eine Flasche Mekong. Ich verbrachte die folgenden vier Stunden damit, gegen die Scham anzukämpfen, die mich daran hinderte, die Flasche aus meinem Rucksack zu holen, um mich in Ruhe zu besaufen; schließlich siegte die Scham. Die Einfahrt zum Beach Resort war mit einer Banderole mit der Aufschrift FEUERWEHRVEREIN AUS CHAZAY - HERZLICH WILLKOMMEN geschmückt. »Das ist ja witzig ...«, kommentierte Josette, »Chazay ist der Ort, wo deine Schwester wohnt ...« René erinnerte sich

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