Plattform
nicht mehr. »Doch, doch...«, sagte sie mit Nachdruck. Ehe ich meinen Zimmerschlüssel bekam, hörte ich noch, wie sie sagte: »Durch die Fahrt über den Isthmus von Kra verliert man letztlich einen ganzen Tag«; das Gemeine daran war, daß sie recht hatte. Ich ließ mich auf das king-size Bett fallen und schenkte mir einen kräftigen Schluck Alkohol ein, dann einen weiteren.
Ich wachte mit furchtbaren Kopfschmerzen auf und übergab mich lange in die Kloschüssel. Es war fünf Uhr morgens: zu spät für die Animierlokale, zu früh für das Frühstück. In der Nachttischschublade lag eine englische Bibel sowie ein Buch über Buddhas Lehre. »Because of their ignorance«, las ich darin, »people are always thinking wrong thoughts and always losing the right viewpoint and, clinging to their egos, they take wrong actions. As a result, they become attached to a delusive existence.« Ich war mir nicht sicher, ob ich alles richtig verstanden hatte, aber der letzte Satz veranschaulichte wunderbar meinen gegenwärtigen Zustand; er verschaffte mir genügend Erleichterung, um die Zeit bis zum Frühstück überbrücken zu können. Am Nachbartisch saß eine Gruppe von riesigen amerikanischen Schwarzen, man hätte sie für eine Basketballmannschaft halten können. Ein Stück weiter ein Tisch mit Chinesen aus Hongkong - erkennbar an ihrer Schmutzigkeit, die schon für einen Westeuropäer schwer zu ertragen war und die die thailändi
sehen Kellner völlig fassungslos machte, obwohl sie es bereits gewohnt waren. Im Gegensatz zu den Thais, die sich in allen Situationen durch eine geradezu pedantische, bisweilen übertriebene Sauberkeit auszeichnen, schlingen die Chinesen das Essen gierig hinunter, lachen laut mit offenem Mund, wobei sie winzige Nahrungsstückchen ausspeien, sie spucken auf den Boden, schneuzen sich zwischen den Fingern - kurz gesagt, sie verhalten sich in allem genau wie Schweine. Außerdem sind es sehr viele Schweine, was die Sache nicht besser macht.
Nachdem ich ein paar Minuten durch die Straßen von Patong Beach gelaufen war, wurde mir klar, daß all das, was die zivilisierte Welt an Touristen hervorgebracht hatte, hier auf diesen zwei Kilometern, die am Meer entlangführten, versammelt war. Auf ein paar Dutzend Metern begegnete ich Japanern, Italienern, Deutschen, Amerikanern, ganz abgesehen von einigen Skandinaviern und reichen Südamerikanern. »Es geht uns allen gleich, wir sehnen uns alle nach Sonne«, wie mir das Mädchen im Reisebüro gesagt hatte. Ich verhielt mich wie ein exemplarischer Durchschnittsgast: Ich mietete mir einen Liegestuhl mit eingearbeiteter Matratze, einen Sonnenschirm und trank ein paar Sprite; ich ging ein paarmal kurz ins Wasser. Die Wellen waren sanft. Gegen fünf kehrte ich ins Hotel zurück, nur mäßig zufrieden mit meinem freien Tag, aber dennoch entschlossen, weiterzumachen. / was attached to a delusive existence. Blieben mir noch die Animierlokale; ehe ich auf das entsprechende Viertel zusteuerte, flanierte ich noch eine Weile vor den Auslagen der Restaurants. Vor dem Royal Savoey Seafood entdeckte ich ein amerikanisches Paar, das mit übertriebener Aufmerksamkeit einen Hummer anstarrte. »Zwei Säugetiere vor einem Schalentier«, sagte ich mir. Ein Kellner kam mit strahlendem Lächeln auf sie zu, vermutlich um die Frische des Produkts anzupreisen. »Das macht drei«, fuhr ich automatisch fort. Die Menge strömte ununterbrochen vorbei, setzte sich aus Einzelpersonen, Fami lien, Paaren zusammen; das alles machte einen recht unschuldigen Eindruck.
Wenn deutsche Senioren viel getrunken haben, tun sie sich manchmal zu einer Gruppe zusammen und stimmen langsame Gesänge von unendlicher Traurigkeit an. Das belustigt die umstehenden thailändischen Kellner so sehr, daß sie kleine Schreie ausstoßen.
Nachdem ich eine Weile drei Männern in den Fünfzigern gefolgt war, die sich mit so manchem lauten »Ach!« und »Ja« verständigten, kam ich, ohne danach gesucht zu haben, in die Straße mit den Animierlokalen. Mädchen in kurzen Röcken gurrten um die Wette, um mich ins Blue Nights, ins Naughty Girl, ins Classroom, ins Marilyn, ins Venus zu locken ... Ich entschied mich schließlich für das Naughty Girl Das Lokal war noch relativ leer: Ein knappes Dutzend Männer, die allein an ihrem Tisch saßen - vor allem junge Engländer und Amerikaner zwischen fünfundzwanzig und dreißig. Auf der Tanzfläche schwenkten etwa zehn Mädchen zu einem eher seichten
Weitere Kostenlose Bücher