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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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ein Problem für sie, denn das war immerhin das einzig Interes
    sante an dieser Art von Ferien. Seit zehn Jahren nimmt die Nachfrage ständig ab, obwohl die Preise immer mehr sinken. Das erklärt sich nur dadurch, daß die sexuellen Beziehungen im Urlaub so gut wie unmöglich geworden sind. Die einzigen Ferienziele, die noch einigermaßen laufen, sind Orte mit großer homosexueller Kundschaft wie Korfu oder Ibiza.«
    » Du bist ja verdammt gut informiert«, sagte ich überrascht.
        »Das ist kein Wunder, ich arbeite in der Tourismusbranche.« Sie lächelte. »Auch das ist typisch für Gruppenreisen: Man spricht nur sehr selten über sein Berufsleben. Es ist eine Art spielerischer Ausnahmesituation, die völlig auf das ausgerichtet ist, was die Veranstalter >die Freude am Entdecken < nennen. Stillschweigend einigen sich die Teilnehmer darauf, ernste Themen wie Arbeit oder Sex zu vermeiden. «
        »Wo arbeitest du?«
        »Bei Nouvelles Frontières.«
        »Hast du dann etwa aus beruflichen Gründen an der Reise teilgenommen? Um einen Bericht zu schreiben oder irgend so was?«
        »Nein, ich habe richtig Urlaub gemacht. Ich bekomme natürlich eine große Ermäßigung, aber die Zeit wird mir von meinen Urlaubstagen abgezogen. Ich arbeite schon seit fünf Jahren dort, und es ist das erste Mal, daß ich mit ihnen verreise. «

    Während Valérie einen Tomatensalat mit Mozzarella zubereitete, erzählte sie mir ihren beruflichen Werdegang. Im März 1990, drei Monate vor dem Abitur, hatte sie sich zum ersten Mal die Frage gestellt, was sie studieren - und was sie überhaupt aus ihrem Leben machen sollte. Nach großen anfänglichen Schwierigkeiten war es ihrem älteren Bruder gelungen, in die Ingenieurschule für Geologie in Nancy aufgenommen zu werden; er hatte gerade sein Diplom abgelegt. Er würde vermutlich als Diplomingenieur in einem Bergbaubetrieb oder auf einer Bohrinsel arbeiten, auf jeden Fall aber fernab von Frankreich. Er reiste gern. Auch sie reiste gern, wenigstens relativ gern; schließlich beschloß sie, einen Abschluß im Fach Touristikmanagement zu machen. Hartnäckige intellektuelle Arbeit, die ein längeres Studium erforderte, lag ihrem Wesen, wie sie meinte, ziemlich fern.
        Das war ein Irrtum, wie sie sehr bald merkte. Das Niveau ihrer Kurse kam ihr außerordentlich niedrig vor, sie machte ihre Scheine ohne jede Anstrengung und konnte damit rechnen, ihr Diplom abzulegen, ohne je einen Gedanken darauf verwendet zu haben. Nebenbei belegte sie Kurse an der philosophischen Fakultät, die ihr nach Ablegung der Zwischenprüfung erlaubten, den Studiengang zu wechseln. Nach ihrem Diplom für Touristikmanagement schrieb sie sich in Soziologie ein. Aber auch da wurde sie bald enttäuscht. Das Arbeitsgebiet war interessant, es gab dort bestimmt noch vieles zu entdecken; aber die Arbeitsmethoden und die Theorien, die man ihnen vorsetzte, kamen ihr lächerlich simpel vor: Sie waren ideologisch überfrachtet, unpräzise und rochen geradezu nach Dilettantismus. Sie brach das Studium mitten im Jahr ab, ohne ihre Scheine zu machen, und nahm eine Stelle als Kundenberaterin in einer Niederlassung von Kuoni in Rennes an. Nach zwei Wochen, als sie beschloß, sich ein Appartement zu mieten, wurde ihr plötzlich klar, daß sie in der Falle saß : Von nun an war sie berufstätig.
        Sie blieb ein Jahr im Reisebüro von Kuoni in Rennes, wo sie sich als gute Verkäuferin herausstellte. »Das war nicht schwer«, sagte sie, »man brauchte die Kunden nur ein bißchen zum Reden zu bringen und sich für sie zu interessieren. Denn letztlich ist es sehr selten, daß sich jemand für andere Menschen interessiert.« Die Unternehmensleitung bot ihr dann eine Stelle als Assistentin im Produktmanagement der Pariser Hauptverwaltung an. Ihre Arbeit bestand darin, an der Gestaltung der Rundreisen mitzuarbeiten, die Reiserouten und Ausflüge festzulegen und die Preise mit den Hotelinhabern und den einheimischen Leistungserbringern auszuhandeln. Auch da erwies sie sich als sehr erfolgreich. Sechs Monate später antwortete sie auf eine Anzeige von Nouvelles Frontières, die eine ähnliche Stelle anbot. Das war für sie der Beginn einer steil ansteigenden Karriere. Sie wurde dem Team von Jean-Yves Frochot zugeteilt, der zwar so gut wie nichts von Tourismus verstand, aber an der HEG studiert hatte, einer angesehenen Hochschule für Wirtschaftswissenschaften. Er war gleich von ihr angetan, schenkte ihr viel

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