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Ihm fiel der undankbarste Teil der Arbeit zu, das war Valérie klar. Sie selbst verstand so gut wie nichts von Betriebsführung, das erinnerte sie nur dunkel an ihre Ausbildung in Hotelmanagement: »Edouard Yang, Inhaber eines Drei-Sterne
Hotels mit eigenem Restaurant, erachtet es als seine Pflicht, die Kundschaft möglichst hundertprozentig zufriedenzustellen; er ist ständig auf der Suche nach neuen Einfallen, um auf ihre Bedürfhisse einzugehen. Er weiß aus Erfahrung, daß das Frühstück ein wichtiger Moment ist, der für das Nahrungsgleichgewicht des ganzen Tages von Bedeutung ist und ganz entscheidend zum Image des Hotels beiträgt.« Das hatte sie als Übungsaufgabe im ersten Jahr gestellt bekommen. Edouard Yang hatte eine statistische Untersuchung durchgeführt, die besonders auf die Zahl der Zimmerbewohner (Alleinreisende, Paare, Familien) einging. Die Untersuchung mußte ausgewertet und das Chi2 berechnet werden; das Thema endete mit folgender Frage: »Anders gesagt, ist der Familienstand ein Erklärungsfaktor für den Konsum von frischem Obst beim Frühstück?«
Als sie ihre Unterlagen durchsuchte, fand sie ein zu jener Zeit behandeltes Prüfungsthema, das ihrer gegenwärtigen Situation recht gut entsprach. »Sie sind zum Marketingleiter innerhalb des internationalen Vorstandes der Gruppe South America ernannt worden. Die Gruppe hat gerade das Hotel-Restaurant >Les Antilles< erworben, einen Vier-Sterne-Betrieb mit hundertzehn Zimmern in Guadeloupe, direkt am Meer. Das Hotel ist 1988 erbaut und 1996 renoviert worden und steckt zur Zeit in großen Schwierigkeiten. Die durchschnittliche Belegungsrate erreicht nur 45 %, was weit unter der erwarteten Rentabilitätsschwelle liegt.« Sie hatte ein »sehr gut« für ihre Arbeit bekommen, was als gutes Vorzeichen zu werten war. Damals war ihr das alles, wie sie sich noch gut erinnerte, wie eine Fabelwelt vorgekommen, eine im übrigen nicht sehr glaubhafte Fabelwelt. Sie hatte sich nicht vorstellen können, Marketingleiterin der Gruppe South America oder sonst irgendeines Unternehmens zu sein. Es war ein Spiel gewesen, ein nicht sehr interessantes, aber auch nicht sehr schwieriges intellektuelles Spiel. Jetzt war es kein Spiel mehr; oder doch, nur daß es dabei um ihre Karriere
ging.
Sie kam so erschöpft von der Arbeit nach Hause, daß sie nicht mehr die Kraft hatte, mit mir zu vögeln, sie schaffte es nur knapp, mir einen zu blasen; sie schlief halb dabei ein, behielt mein Glied im Mund. Im allgemeinen liebten wir uns nur morgens, beim Aufwachen. Ihre Orgasmen waren dann sanfter, begrenzter, wie von einem Schleier der Müdigkeit erstickt; ich glaube, ich liebte sie immer mehr.
Ende April lagen die Kataloge vor und wurden in fünftausend Reisebüros verteilt - fast dem gesamten französischen Netz. Jetzt mußte die Infrastruktur der Exkursionen ausgearbeitet werden, damit alles zum 1. Juli fertig war. Die Mundpropaganda spielte bei dieser Art von neuen Produkten eine wichtige Rolle: Eine abgesagte oder schlecht organisierte Exkursion konnte den Verlust vieler Kunden bedeuten. Sie beschlossen, auf eine groß angelegte Werbekampagne zu verzichten. Seltsamerweise hielt Jean-Yves, obwohl er eine Marketingausbildung hatte, wenig von Werbung. »Die kann nützlich sein, um das Image zu ändern; aber soweit sind wir noch nicht. Zur Zeit ist es für uns vor allem wichtig, daß wir in allen Verteilern sind und daß das Produkt in den Ruf kommt, zuverlässig zu sein. « Sie investierten jedoch eine Menge Geld, um die Reisebüros zu informieren; es war dringend notwendig, daß deren Kundenberater das Produkt sehr schnell und spontan anboten. Das übernahm vor allem Valérie, sie kannte die Branche sehr gut. Sie erinnerte sich an die Regel EVB/SSNKGS, die sie sich im Laufe ihres Studiums zu eigen gemacht hatte (Eigenschaften-Vorteile-Beweise; Sicherheit-Stolz-Neuheit-Komfort-Geld-Sympathie); sie erinnerte sich auch daran, daß die Sache in Wirklichkeit sehr viel einfacher war. Aber die meisten Sachbearbeiterinnen in den Reisebüros waren noch sehr jung, viele hatten gerade erst ihr Touristikdiplom abgelegt; es war besser, eine Sprache mit ihnen zu sprechen, die sie gewohnt waren. Als sie mit einigen dieser Mädchen sprach, stellte sie fest, daß die Typologie von Barma
noch immer an den Hochschulen gelehrt wurde. (Der sachver ständige Käufer: Er interessiert sich im wesentlichen für das Produkt selbst, seinen quantitativen Aspekt, und legt
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