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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Valérie jedenfalls alles andere als abgestumpft. Kurz bevor wir uns trennten, küßte ich sie auf den Mund; sie öffnete weit die Lippen und überließ sich völlig dem Kuß. Ich schob die Hand in ihre Jogginghose, unter ihren Slip, legte die flache Hand unter ihren Hintern. Sie zog den Kopf zurück, blickte nach links und nach rechts: Die Straße war völlig ruhig. Sie kniete sich auf den Bürgersteig, öffnete meinen Hosenschlitz und nahm mein Glied in den Mund. Ich lehnte mich mit dem Rücken an das Eisengitter des Parks; ich war kurz davor zu kommen. Sie schob den Kopf zurück und wichste mich weiter mit zwei Fingern, während sie die andere Hand in meine Hose schob, um meine Eier zu streicheln. Sie schloß die Augen; ich spritzte ihr meinen Samen ins Gesicht. In diesem Augenblick hatte ich den Eindruck, als würde sie in Tränen ausbrechen; aber das tat sie dann doch nicht, sondern leckte sich lediglich meinen Samen ab, der ihr über die Wangen rann.
        Schon am folgenden Morgen begann ich, die Anzeigen durchzulesen; wegen Valeries Arbeitsstätte suchte ich eher in den Vierteln im Süden der Stadt. Eine Woche später hatte ich etwas gefunden: Es war eine große Vierzimmerwohnung im dreißigsten Stock des Opal-Turms in der Nähe der Porte de Choisy. Ich hatte noch nie zuvor einen schönen Blick auf Paris gehabt; ich hatte allerdings auch nie wirklich danach gesucht. Als der Tag des Umzugs sich näherte, wurde mir klar, daß es nichts in mei
    ner Wohnung gab, an dem ich wirklich hing. Ich hätte mich darüber freuen, etwas empfinden können, das einem gewissen Taumel der Unabhängigkeit nahekommt, statt dessen war ich eher leicht erschrocken. Ich hatte also vierzig Jahre gelebt, ohne die geringste persönliche Beziehung zu einem Gegenstand zu entwickeln. Insgesamt besaß ich zwei Anzüge, die ich abwechselnd trug. Und Bücher, ja, ich hatte Bücher; aber die könnte ich mir leicht wieder besorgen, keines davon war irgendwie wertvoll oder selten. Mehrere Frauen hatten meinen Weg gekreuzt; ich hatte weder ein Foto noch einen Brief von ihnen aufbewahrt. Auch von mir besaß ich kein Foto: Es fehlte jede Erinnerung daran, was ich mit fünfzehn, zwanzig oder dreißig Jahren gewesen sein mochte. Es waren auch keine wirklich persönlichen Schriftstücke da: Meine Identität beschränkte sich auf ein paar dünne Aktenbündel, die leicht in einer kartonierten Sammelmappe üblichen Formats Platz fanden. Die Behauptung, daß jeder Mensch einmalig sei und in sich eine unersetzliche Einzigartigkeit trage, ist falsch; was mich anging, nahm ich auf jeden Fall keine Spur dieser Einzigartigkeit wahr. Man müht sich zumeist vergeblich ab, individuelle Schicksale und Charaktere zu unterscheiden. Die Vorstellung von der Einmaligkeit der menschlichen Person ist nur eine pathetische Absurdität. Man erinnert sich an sein eigenes Leben, schreibt Schopenhauer irgendwo, kaum besser als an einen Roman, den man irgendwann gelesen hat. Ja, so ist das: kaum besser.

    5

        In der zweiten Junihälfte hatte Valerie wahnsinnig viel zu tun ; die Schwierigkeit bei der Arbeit mit so vielen verschiedenen Ländern besteht darin, daß man aufgrund des Zeitunterschieds praktisch rund um die Uhr tätig sein müßte. Draußen wurde es immer heißer, der Sommer versprach wunderschön zu werden; bisher konnten wir das allerdings kaum ausnutzen. Nach der Arbeit ging ich gern in den Supermarkt Tang Frères, denn ich wollte versuchen, mich mit der asiatischen Küche vertraut zu machen. Aber es war zu kompliziert für mich, man mußte ein neues Gleichgewicht im Hinblick auf die Zutaten finden und das Gemüse auf besondere Art zerkleinern, das erforderte schon fast eine andere Denkweise. Ich nahm mit der italienischen Küche vorlieb, die mir leichter zugänglich war. Ich hätte nie gedacht, daß es mir eines Tages Spaß machen könnte zu kochen. Die Liebe heiligt so manches.
        In der fünfzigsten Lektion der Soziologie bekämpft Auguste Comte jene »seltsame metaphysische Verirrung«, die die Familie nach dem Modell der Gesellschaft begreift. »Wesentlich auf Bindung und Anerkennung begründet«, schreibt er, »ist die eheliche Vereinigung vor allem dazu bestimmt, unmittelbar durch ihr bloßes Vorhandensein alle unsere sympathischen Instinkte zu befriedigen, unabhängig von jedem Gedanken einer aktiven und kontinuierlichen Zusammenarbeit im Hinblick auf ein beliebiges Ziel, wenn nicht das ihrer eigenen Stiftung. Wenn unglücklicherweise die

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