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großen Wert auf den technischen Aspekt sowie auf die Neuheit. Der gutgläu bige Käufer: Er bringt dem Verkäufer blindes Vertrauen entgegen, da das Produkt ihn überfordert. Der verständnisvolle Käu fer: Er sucht nach Gemeinsamkeiten, die ihn mit dem Verkäufer verbinden, wenn dieser einen guten persönlichen Kontakt zu ihm herzustellen versteht. Der auf seinen Vorteil bedachte Käu fer: Er versucht den Verkäufer zu manipulieren und den Namen des Lieferanten in Erfahrung zu bringen, um den größtmöglichen Vorteil daraus zu schlagen. Der entwicklungsbewußte Käufer: Er hört dem Verkäufer aufmerksam und respektvoll zu, interessiert sich für das angebotene Produkt, kennt seine Bedürfnisse und ist gewandt im Gespräch.) Valérie war fünf oder sechs Jahre älter als diese Mädchen ; sie war von dem gleichen Niveau ausgegangen, das sie zur Zeit besaßen, und hatte eine Karriere gemacht, von der die meisten kaum zu träumen wagten. Sie warfen ihr etwas dümmliche Blicke voller Bewunderung zu.
Ich hatte jetzt einen Schlüssel zu ihrer Wohnung; wenn ich abends auf sie wartete, las ich im allgemeinen Soziologie. Die positive Philosophie von Auguste Comte. Ich mochte diesen langweiligen, verdichteten Text; oft las ich dieselbe Seite dreioder viermal. Ich brauchte etwa drei Wochen, um die Lektion
50 »Vorbemerkungen zur Sozialstatistik oder allgemeine Theorie der spontanen natürlichen Ordnung der menschlichen Gesellschaften« ganz durchzulesen. Ohne Zweifel brauchte ich irgendeine Theorie, um mir über meine gesellschaftliche Situation klar zu werden.
»Du arbeitest viel zu viel, Valérie«, sagte ich eines Abends im Mai zu ihr, als sie vor Erschöpfung zusammengerollt auf dem Sofa im Wohnzimmer lag, um sich auszuruhen. »Irgendwozu sollte das wenigstens gut sein. Am besten fängst du an zu sparen,
sonst geben wir das Geld noch für irgendwelchen Unsinn aus.« Sie stimmte mir zu. Am nächsten Morgen nahm sie sich zwei Stunden frei und wir gingen zum Crédit Agricole an der Porte d'Orléans, um dort ein gemeinsames Konto zu eröffnen. Sie gab mir eine Vollmacht, und ich kehrte zwei Tage später zu der Bank zurück, um mich mit einem Berater zu unterhalten. Ich beschloß, zwanzigtausend Franc pro Monat von ihrem Gehalt festzulegen, die eine Hälfte in eine Kapitalversicherung und die andere in einen Bausparvertrag. Ich wohnte jetzt fast ständig bei ihr, es hatte kaum noch Sinn, daß ich meine eigene Wohnung beibehielt.
Sie machte mir den Vorschlag Anfang Juni. Wir hatten am Nachmittag mehrmals miteinander geschlafen und machten lange Pausen, in denen wir eng umschlungen unter den Bettlaken lagen; dann wichste oder leckte sie mich und ich drang wieder in sie ein; weder sie noch ich hatten einen Orgasmus gehabt, aber jedesmal wenn sie mich berührte, bekam ich sofort wieder einen Steifen, und ihre Möse blieb ständig feucht. Sie fühlte sich wohl, das merkte ich, in ihrem Blick lag ruhige Zufriedenheit. Gegen neun Uhr schlug sie mir vor, in einem italienischen Restaurant in der Nähe des Parc Montsouris essen zu gehen. Es war noch nicht richtig dunkel, und die Luft war sehr lau. Ich mußte anschließend bei mir zu Hause vorbeifahren, wenn ich wie gewöhnlich im Anzug und mit einer Krawatte ins Büro gehen wollte. Der Ober brachte uns zwei Cocktails.
»Weißt du, Michel...«, sagte sie zu mir, als er sich wieder entfernt hatte, »du könntest eigentlich auch ganz bei mir wohnen. Ich denke, wir müssen die Komödie der Unabhängigkeit nicht unbedingt noch länger spielen. Oder wenn es dir lieber ist, können wir auch zusammen in eine neue Wohnung ziehen. «
Ja, das war mir in gewisser Hinsicht lieber; sagen wir, dadurch hatte ich eher den Eindruck, etwas Neues zu beginnen. Oder, was mich betraf, zum erstenmal überhaupt etwas zu be
ginnen; und im Grunde war es auch für sie das erste Mal. Man gewöhnt sich an das Alleinsein und die Unabhängigkeit; aber das ist nicht unbedingt eine gute Gewohnheit. Wenn ich etwas erleben wollte, das einer Eheerfahrung glich, war es ganz offensichtlich der richtige Moment. Ich kannte natürlich die Nachteile der Ehe, wußte, daß das sexuelle Begehren durch das Zusammenleben abstumpft. Aber es stumpft sowieso allmählich ab, das ist ein Gesetz des Lebens; und vielleicht läßt sich dann sogar eine andere Form der Zweierbeziehung entwickeln - wie dem auch sei, viele Menschen haben das zumindest geglaubt. Heute abend war mein sexuelles Begehren für
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