Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
welche Aufgabe hat sie dann?« Schachira schwieg einen Moment, und als er sah, dass Ronald keine Antwort darauf in seinem Repertoire hatte, bellte er zweimal, hob mit seinem Maul den Knochen auf und verließ den Balkon.
Auch an diesem Morgen erwachte Ronald mit einem prachtvollen Ständer und dem nicht völlig enträtselten Lecken von Schachira, der ohne Knochen und ganz und gar unbekleidet im Schlafzimmer herumlief. Es ist nicht sexuell, war der erste und entschiedene Gedanke, der in seinem Hirn aufblitzte, es ist kameradschaftlich. Mehr als kameradschaftlich, es ist existentiell. »Mein Schachira, mein Freund«, jubelte er flüsternd, um Niva nicht zu wecken, »nur du liebst mich wirklich.«
Der Stich
Es begann mit einem Kuss. Fast immer beginnt es mit einem Kuss. Ella und Ziki lagen nackt im Bett, nur durch die Zunge miteinander verbunden, als sie einen Stich spürte. »Hab ich dich verletzt?«, fragte Ziki, und als sie den Kopf schüttelte, fügte er schnell hinzu: »Dir läuft Blut runter.« Und sie blutete tatsächlich. Aus dem Mund.
»Tut mir leid«, sagte er, und dann stieg er aus dem Bett und begann unruhig in der Küche herumzulaufen. Er holte die Eiswürfelform aus dem Tiefkühler und schlug sie routiniert ans Spülbecken. »Da«, er reichte ihr mit zitternder Hand einige Würfel, »drück das auf die Lippe. Na, nimm schon, das wird die Blutung stoppen.« Ziki war immer gut in solchen Sachen. In der Armee war er Sanitäter gewesen. Er hatte auch eine Zulassung als Fremdenführer. »’Tschuldige«, fuhr er fort, mit einem schiefen Lächeln, »anscheinend hab ich dich gebissen, du weißt schon, in der Hitze der Leidenschaft.«
»Nich schlinn«, sie lächelte ihn an, den Eiswürfel auf ihre Unterlippe gepresst, »ganichs assiert.« Was natürlich eine Lüge war. Denn es war ziemlich viel passiert. Nicht jeden Tag bringt dich jemand, mit dem du zusammenwohnst, dazu zu bluten und lügt nachher auch noch, indem er behauptet, er habe dich gebissen, während du eindeutig einen Stich gespürt hast.
Danach küssten sie sich ein paar Tage lang nicht mehr, wegen der Wunde. Lippen sind ein ungemein sensibler Bereich. Und auch nachher, als sie es wieder taten, geschah es nur mit Vorsicht. Sie hatte das Gefühl, dass er etwas verbarg. Und tatsächlich, als sie eines Nachts ausnutzte, dass er mit offenem Mund schlief, schob sie behutsam einen Finger unter seine Zunge und fand es. Ein kleiner Reißverschluss. Ein Reißverschlüsschen. Doch als sie daran zog, öffnete sich ihr kompletter Ziki wie eine Auster, und in ihm lag Jürgen. Jürgen hatte im Gegensatz zu Ziki ein Ziegenbärtchen, krass ausgeprägte Wangenkoteletten und einen unbeschnittenen Penis. Ella betrachtete ihn, wie er schlief, faltete still und leise die Zikihülle zusammen und versteckte sie im Küchenschrank hinter dem Abfalleimer, wo sie die Mülltüten aufbewahrten.
Das Leben mit Jürgen war nicht leicht. Der Sex war enorm, aber er trank eine Menge, und wenn er trank, machte er viel Radau und viel Scheiß. Er brachte sie auch liebend gern dazu, sich dafür schuldig zu fühlen, dass er wegen ihr Europa verlassen hatte und hierhergekommen war. Und immer wenn in Israel etwas Schlimmes passierte, egal ob im Leben oder im Fernsehen, sagte er zu ihr: »Da schau mal, wie dein Staat ist.« Sein Hebräisch war grottenschlecht und dieses »dein« ungemein anklagend. Ihre Eltern mochten ihn nicht, und ihre Mutter, die Ziki wirklich gern gehabt hatte, nannte ihn den »Goi«. Ihr Vater fragte ihn immer nach der Arbeit, worauf Jürgen jedes Mal grinsend sagte: »Herr Schviro, mit der Arbeit ist es wie mit dem Schnurrbart, schon längst aus der Mode.« Und das fand nie irgendjemand lustig. Schon gar nicht Ellas Vater, der immer noch mit einem Schnurrbart herumlief.
Am Ende setzte er sich ab. Kehrte nach Düsseldorf zurück, um Musik zu machen und von der Stütze zu leben. In Israel, sagte er, könne er als Sänger nie erfolgreich sein, denn der Akzent arbeite gegen ihn. Die Leute hier hätten Vorurteile, mochten keine Deutschen. Ella sagte nichts, doch sie hatte insgeheim das Gefühl, dass er auch in Deutschland mit seiner sonderbaren Musik und den kitschigen Texten nicht sehr weit kommen würde. Er hatte sogar ein Lied, das er über sie geschrieben hatte. Es hieß »Goddess«, und das ganze Lied ging darüber, wie sie auf dem Wellenbrecher Sex machten und wie sie kam, wie eine »Welle, die am Fels zerbirst«, wörtliches Zitat.
Es passierte ein halbes
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