Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
höchster Lust und Energie Löcher zu buddeln an und ließ das Grabungsunternehmen dann mit der gleichen Abruptheit im Stich, mit der er es begonnen hatte? Und sah er in Ronald einen Herrn, einen Vater, einen Freund oder gar einen Geliebten? In der Tat, es gab eine Menge an Verborgenem bei Schachira gegenüber dem Offenkundigen.
An erster Stelle auf der Liste stand der Me’ir-Park. Den Me’ir-Park suchten Schachira und er jeden Morgen auf. Im Me’ir-Park pflegte Schachira Kollegen zu treffen, ganz zu schweigen von dem zwergwüchsigen Schneider, der Schachira ein Freund und Bruder war. Aber zu dieser spätnächtlichen Stunde befanden sich weder Hunde noch Menschen im Me’ir-Park, abgesehen von einem betrunkenen russischen Obdachlosen, der auf irgendeiner Bank döste. Ronald nahm an, dass er Russe war, wegen der etwas stereotypen Wodkaflasche, die er umarmt hielt. Er blieb einen Moment stehen und sagte sich, dass er trotz all der Schwierigkeiten, die ihn fortlaufend verfolgten und ihn manchmal dazu brachten, sich mindestens wie eine Hiob-light-Ausgabe zu fühlen, dankbar für das sein musste, was er hatte, und dafür dem zu danken hatte, bei dem sich Säkulare in solchen Angelegenheiten bedanken sollten, dass er sich nicht in den zerrissenen Schuhen voller alter Zeitungen dieses Russen befand. Der Russe lachte jetzt ein besonders tiefes und lautes Lachen, das Ronalds These von seinem verhältnismäßigen Glück ein wenig ins Wanken brachte. Wer bestimmte das eigentlich?, dachte Ronald und war plötzlich von einer großen Wahrheit erfüllt, in die sich nicht wenig Selbstmitleid mischte. Wer hat bestimmt, dass mein Schicksal dem seinen vorzuziehen ist? Hier bin ich, in dem gleichen Park, in dem er betrunken und fröhlich ist, und ich bin weder das eine noch das andere, und alles, was ich auf dieser Welt habe, ist ein Hund, der mich verlassen hat, eine Frau, die ich nicht wirklich liebe, und ein Geschäft, das … Der Gedanke ans Geschäft munterte ihn sogar ein bisschen auf. Immerhin, es war gerade eine gewisse Blütephase, was zwar kein unbegrenztes Glück garantierte, sich aber dennoch in diesem Moment vorteilhafter darstellte als Zeitungen in den Schuhen.
Am Ausgang des Me’ir-Parks nahm Ronald eine flinke hündische Bewegung zwischen den Sträuchern wahr, doch nach einem kurzen Augenblick der Erwartung stellte sich das Objekt seiner verpuffenden Hoffnung als die niedrige und bärtige Silhouette Schneiders heraus. Ronald, der den Park für gewöhnlich nur tagsüber aufsuchte, war überrascht, Schneider zu so später Stunde dort zu entdecken. Der erste Gedanke, der ihm in den Sinn kam, war, dass Schneider mit irgendeinem sechsten Hundesinn gespürt hatte, dass Schachira verlorengegangen war, und von zu Hause ausgebüchst war, um sich an der Suche zu beteiligen. Doch ein bekannter Pfiff, der durch die Luft des Parks schwirrte, strafte diese romantische Vermutung Lügen, und kurz nach dem Pfiff tauchte Alma auf, die schöne, hinkende Herrin von Schneider. Alma, die vielleicht fünfundzwanzig war, war eine der schönsten Frauen, die Ronald kannte, und bestimmt die hinkendste unter ihnen. Sie war bei einem besonders dummen Verkehrsunfall verletzt worden und hatte sich mit den Entschädigungsgeldern ein renoviertes Penthaus in der Michalstraße gekauft. Kein Zweifel, dass das extreme Zusammentreffen von Alma mit einem miserablen Fahrer und einem hervorragenden Rechtsanwalt (sie hatte Ronald sogar einmal seinen Namen gesagt, aber da Ronald keinerlei Schadensersatzklage am Horizont sah, hatte er ihn schnellstens vergessen) ihr Leben völlig aus dem vorbestimmten Gleis in eine andere Bahn gelenkt hatte. Die Leute sagen immer gern, dass sie bereit seien, auf alles Geld der Welt zu verzichten, wenn sie ihre Gesundheit wieder zurückerlangen könnten, aber stimmte das wirklich? Alma, soweit das aus Leinendistanz zu sehen war, hatte immer so ein echtes Lächeln, das Ronald anfangs für seine Geschäftszwecke zu imitieren versucht und sogar einige Male vor dem Spiegel geübt hatte, bevor er es aufgab und ein anderes Lächeln, ein leichteres wählte. Ihr Lächeln war beständig, ein Lächeln, das auf ihrem Gesicht ruhte wie eine sich von selbst eingestellte Wahl, war gleichzeitig aber nicht fixiert und falsch, sondern reagierte die ganze Zeit auf die Umgebung – es wurde breiter, wurde kleiner, überrascht oder zynisch je nach Bedarf –, doch es war ständig da und immer entspannt. Hätte sie auch so gelächelt, wenn sie
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