Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
arm und ohne Platin im Bein gewesen wäre? Oder wäre das Lächeln dann anders gewesen, weniger gelassen, beunruhigter von einer ungewissen finanziellen Zukunft und einem Alter, das die perfekte Schönheit zerstören würde?
»Ich habe nicht gewusst, dass Sie und Schachira auch in der Nacht hierherkommen«, sagte Alma und humpelte in den Lichtkegel am Parkeingang.
»Tun wir auch nicht«, stöhnte Ronald verzweifelt. »Schachira ist ausgerissen«, sagte er und verbesserte sich hastig, »… verlorengegangen.« Schneider hüpfte mit der enervierenden Fröhlichkeit eines dummen, nicht sonderlich sensiblen Schnauzers um Ronald herum.
»Er kapiert nichts«, entschuldigte sich Alma. »Er wittert Schachiras Geruch an Ihren Kleidern. Er denkt, er sei hier.«
»Ich weiß, ich weiß«, murmelte Ronald und brach urplötzlich, ohne jeder Vorwarnung, in Tränen aus. »Aber er ist es nicht, er ist nicht da. Vielleicht ist er jetzt schon tot. Überfahren, oder dass ihn Kinder in irgendeinem Hinterhof misshandeln, auf ihm Zigaretten ausdrücken, oder dass Kontrolleure von der Stadtverwaltung …« Alma legte beruhigend eine Hand auf seinen Arm. Ihre Handfläche war feucht von Schweiß, und diese Feuchtigkeit hatte etwas Angenehmes, Zartes und Lebendiges.
»Hundefänger arbeiten nicht in der Nacht, und Schachira ist ein kluger Hund, keine Chance, dass er überfahren wird. Wenn es Schneider wäre …«, sagte sie und bedachte ihren fröhlichen Schnauzer mit einem betrübten, liebevollen Blick, den sich schöne Frauen immer für ihre hässliche Freundin vorbehalten, »dann müssten wir uns Sorgen machen. Aber Schachira weiß, wie er zurechtkommt. Ich kann mir mit Leichtigkeit vorstellen, wie er jetzt an Ihrer Haustür winselt oder an irgendeinem Knochen kaut, den er vor dem Hauseingang gemopst hat.«
Obwohl er Niva hätte anrufen können, um herauszufinden, ob Schachira zurückgekommen war, zog Ronald es vor, nach Hause zu gehen und selber nachzuschauen. Das Haus war in der Nähe, und außerdem wollte er, gerade weil es Alma fertiggebracht hatte, ihn zu dem Glauben zu verleiten, dass Schachira dort sein würde, Niva nicht das Recht zugestehen, ihm die guten Nachrichten zu erzählen. Ich und sie, dachte er, hätten uns schon längst trennen müssen. Einmal, entsann er sich, hatte er Niva betrachtet, wie sie schlief, und sich ein schreckliches Szenario ausgemalt, in dem sie bei einem Anschlag starb und es ihm leidtat, dass er sie betrogen hatte, und er in einer Lifesendung im Studio »Neues am Abend« weinte vor lauter Schuldgefühl, das ihm mit List und Tücke als lupenreiner Kummer zu präsentieren gelang. Dieses Gedankenspiel, so erinnerte er sich, war traurig und schrecklich gewesen, verschaffte ihm jedoch, überraschenderweise, auch das Gefühl einer gewissen Erleichterung. Als sei etwas an Nivas Eliminierung aus seinem Leben, das Platz für etwas anderes freimachte, etwas mit Gerüchen, Leben und Farbe. Doch bevor er dazu kam, sich deshalb wieder schuldig zu fühlen, drang in diese Phantasie Ranana ein, die sich nach Nivas Tod beeilte, zu ihm zu ziehen, anfangs um ihn zu trösten und zu stützen, und nachher bloß so, ohne Grund. Ronald fuhr fort, seine Phantasie schweifen zu lassen, bis zu der Stelle, an der Ranana zu ihm sagte, »entweder ich oder Schachira«, und er Schachira wählte und allein in seiner Wohnung blieb. Ohne Frau. Ohne Liebe, außer der von Schachira, deren Existenz die furchtbare Einsamkeit, die sich sein Leben nannte, im Grunde nur vertiefte.
Ronald ging fast an ihm vorbei, ohne ihn zu bemerken. Er war zu konzentriert auf den Versuch, ein erleuchtetes Licht in einem der Fenster seiner Wohnung im dritten Stock zu erspähen. Auch Schachira war beschäftigt – sein verschleierter Blick verfolgte bewundernd die geschickten Hände des Verkäufers am Schawarmastand »Der Fes«, die feine Fleischstreifen von dem Drehspieß absäbelten. Aber als sie einander zu guter Letzt dann doch bemerkten, strömte die Begegnung über vor Gefühl und Ablecken.
»Das ist vielleicht ein Hund«, erklärte der Verkäufer, kniete sich neben Schachira und legte Streifen des fetten Fleisches auf eine Papierserviette auf den Bürgersteig wie ein Priester die Opfergabe für einen behaarten Gott. »Sie müssen wissen, hier kommen viele Hunde her, und denen geb ich gar nichts. Aber der?« Er deutete auf Schachira. »Sagen Sie mal, ist der türkischer Abstammung?«
»Wieso türkisch?«, begehrte Ronald auf.
»Bloß so«,
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