Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
Frauen, die noch weiterschrieben, nicht zu stören.
Schnupfen
Zwei warten am Tisch im Behandlungszimmer des Akupunkturarztes. Vater und Sohn.
Der Akupunkteur betritt den Raum.
Er ist Chinese.
Er setzt sich an den Tisch.
Er bittet den Sohn in Englisch mit einem merkwürdigen Akzent, seine beiden Hände auf den Tisch zu legen.
Der Chinese legt seine Finger auf die Arme des Sohnes und schließt die Augen. Danach bittet er den Sohn, die Zunge herauszustrecken. Der Sohn streckt sie herausfordernd heraus.
Der Chinese nickt und bittet den Sohn, sich auf die Behandlungsliege zu legen.
Der Sohn legt sich auf die Liege und schließt die Augen.
Der Vater fragt, ob der Sohn die Kleider ausziehen soll.
Der Chinese schüttelt den Kopf. Er entnimmt einer Schublade im Tisch lange, dünne Nadeln und beginnt, sie zu setzen.
Hinter jedes Ohr eine.
Eine in jede Wange, in Nasennähe.
Eine auf jeder Seite der Stirn, nahe dem Auge.
Der Sohn wimmert leise, seine Augen bleiben geschlossen.
Jetzt, sagt der Akupunkteur zum Vater und zum Sohn, muss man warten.
Und nach der Behandlung, erkundigt sich der Vater, geht es ihm dann besser?
Der Akupunkteur zuckt die Achseln und verlässt den Raum.
Der Vater tritt an die Liege, auf der der Sohn liegt, und legt eine Hand auf seine Schulter.
Der Körper des Sohnes krampft sich zusammen.
Als er akupunktiert wurde, hat er sich nicht verkrampft. Jetzt schon.
Nach einer halben Stunde kehrt der Chinese in das Zimmer zurück und zieht die Nadeln mit flinken Bewegungen heraus.
Er sagt zu Vater und Sohn, dass der Körper auf die Behandlung reagiere, was ein gutes Zeichen sei. Jetzt würde es keinen Schnupfen mehr geben. Als Beweis deutet er auf die Stellen, in denen die Nadeln gesteckt haben. Rund um jede einzelne ist ein roter Ring aufgetaucht.
Danach setzt er sich hinter den Tisch.
Der Vater fragt den Chinesen, wie viel er zahlen muss. Er hatte geplant, vor der Behandlung danach zu fragen, hat es aber vergessen. Wenn er daran gedacht hätte, vorher zu fragen, wäre seine Verhandlungsposition viel besser. Nicht dass er vorgehabt hätte zu feilschen. Es handelt sich hier schließlich um die Gesundheit seines einzigen Kindes. Heißt, des einzigen, das lebt.
Der Chinese sagt, für die Behandlung mache das dreihundertfünfzig Schekel, und es gebe auch etwas, was man nach dem Essen schlucken müsse, das noch mal hundert koste.
Der Chinese erklärt, dass sie eine Serie von Behandlungen machen müssten. Mindestens zehnmal. Täglich außer Schabbat.
Der Chinese bemerkt, dass es zwar von Vorteil wäre, auch am Schabbat zu behandeln, doch am Schabbat arbeite er nicht, da seine Frau es nicht erlaube.
»Frau« ist vielleicht das einzige Wort, außer »Schnupfen«, das er in Hebräisch sagt.
Als er dieses Wort ausspricht, fühlt der Vater eine grauenhafte Einsamkeit.
Dem Vater kommt ein seltsamer Wunsch in den Sinn. Er möchte zu dem Chinesen sagen, er müsse austreten und dann, wenn er die Tür hinter sich abgesperrt hat, in die Kloschüssel onanieren.
Er denkt, das würde das Einsamkeitsgefühl irgendwie etwas lindern. Sicher ist er sich nicht.
In der chinesischen Medizin wird der männliche Samen als Energie begriffen. Wenn man ihn vergießt, schwächt das, und daher ist es nicht empfehlenswert, das zu tun, ganz besonders nicht, wenn man ohnehin schon schwach ist.
Der Vater weiß von all dem nichts, trotzdem lässt er die Idee fallen. Die Einsamkeit kommt ihn schwer an, doch ihm ist nicht wohl dabei, seinen Sohn mit diesem Chinesen allein im Zimmer zu lassen.
Täglich, außer Schabbat, wiederholt der Chinese. Er denkt, dass der Vater beim ersten Mal nicht zugehört hat.
Der Vater zahlt mit neuen Scheinen. Vierhundertfünfzig, ganz genau. Es ist kein Wechselgeld nötig.
Sie vereinbaren einen Termin für morgen.
Auf dem Weg zur Tür sagt der Chinese in Hebräisch zu ihnen: »Gute Besserung für euch.«
Der Sohn denkt sich, komisch, dass der Chinese »für euch«, im Plural, gesagt hat. Es ist doch bloß er krank.
Der Vater hat nicht darauf geachtet. Er denkt an etwas ganz anderes.
»Frau«, »Schnupfen«, »gute Besserung für euch«.
»Gute Besserung für euch«, »Schnupfen«, »Frau«.
Es gibt nichts Merkwürdigeres, als einen Chinesen Hebräisch reden zu hören.
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