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Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Titel: Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Etgar Keret
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Leid spürt, entwindet sich den Armen der Mutter, nähert sich ihm, leckt sanft sein Gesicht und stößt ein tröstenden »miau« aus. »Hast du gehört?«, fragt die Mutter aufgeregt. »Es hat ›Papa‹ gesagt.« An diesem Punkt kann der Ehemann seine Tränen nicht mehr zurückhalten, und Avi’ad, der das las, musste sich zusammennehmen, um nicht mitzuweinen. Diese Geschichte, sagte Maja, habe sie zu schreiben angefangen, noch bevor sie wusste, dass sie wieder schwanger war.
    »Das ist irgendwie schon lustig«, wunderte sie sich, »dass mein Gehirn noch nicht gewusst hat, dass ich schwanger bin, aber mein Unterbewusstsein schon.« Am Dienstag darauf, als Avi’ad sie nach dem Workshop vom Museum abholen sollte, traf er eine halbe Stunde früher ein, stellte den Wagen am Parkplatz ab und ging sie in der Halle suchen. Maja war überrascht, ihn dort zu sehen, und er bestand darauf, dass sie ihn dem Schriftsteller vorstellte. Der Schriftsteller roch einparfümiert. Er drückte Avi’ad schlaff die Hand und sagte zu ihm, wenn sich Maja ihn als Ehemann ausgesucht habe, dann sei er bestimmt ein ganz besonderer Mensch.

    Drei Wochen später schrieb sich Avi’ad in einen Schreibkurs für Anfänger im »Schriftstellerhaus« ein. Er sagte Maja nichts davon, und zur Sicherheit bat er die Sekretärin, wenn von Zuhause angerufen würde, zu sagen, dass er in einer wichtigen Besprechung sei, wo man ihn keinesfalls stören könne. Außer ihm saßen in dem Raum nur ältere Frauen, die ihn mit grimmigen Blicken traktierten. Die Leiterin war eine junge, magere Frau mit Kopftuch, und die Frauen im Kurs tratschten über sie, dass sie in einer der Siedlungen lebe und Krebs habe. Sie forderte alle auf, eine Übung in automatischem Schreiben zu machen. »Schreiben Sie alles, was Ihnen in den Sinn kommt«, sagte sie, »denken Sie nicht, schreiben Sie einfach.« Avi’ad versuchte, das Denken einzustellen. Das war äußerst schwierig. Die alten Frauen um ihn herum schrieben mit irritierendem Eifer wie Schülerinnen, die versuchen, die Prüfung fertigzukriegen, bevor der Lehrer sie auffordert, die Stifte hinzulegen, doch nach ein paar Minuten fing auch er an. Die Geschichte, die er schrieb, handelte von einem Fisch, der einmal, als er vergnügt im Meer schwamm, von einer bösen Hexe in einen Mann verwandelt wurde. Der Fisch war nicht bereit, sich mit dem schlimmen Schicksal abzufinden, und beschloss, die Hexe zu verfolgen und sie dazu zu zwingen, ihn wieder in einen Fisch zu verwandeln. Da er ein besonders reger und aktiver Fisch war, heiratete er auch in der Zeit, während der er der Hexe nachstellte, gründete sogar eine kleine Firma für den Import von Plastikprodukten aus dem Osten; eine Firma, die mit Hilfe des großen Wissens, das er als Fisch erworben hatte, als er die sieben Meere durchquerte, zu boomen begann und in einem bestimmten Stadium sogar an der lokalen Börse gehandelt wurde. Währenddessen beschloss die böse Hexe, die von ihren ganzen Jahren der Bösartigkeit ein bisschen ermüdet war, zu all denen zurückzukehren, die sie verhext hatte, sich bei ihnen zu entschuldigen und sie in ihren natürlichen Zustand zurückzuversetzen. Irgendwann kam sie dabei sogar zu dem Fisch, den sie in einen Mann verwandelt hatte. Die Sekretärin des Fischs bat sie zu warten, bis er die Satellitenkonferenz mit seinen Partnern in Taiwan beendet habe. An diesem Punkt seines Lebens erinnerte sich der Fisch schon nicht mehr wirklich daran, dass er ein Fisch gewesen war, und seine Firma beherrschte ein bisschen mehr als die halbe Welt. Die Hexe wartete gut einige Stunden lang, und als sie sah, dass die Besprechung kein Ende nahm, kletterte sie auf ihren Besen und flog davon. Der Fisch fuhr fort, ein Vermögen zu machen, und vor allem ungemein beschäftigt zu sein, bis er eines Tages, als er wirklich schon richtig alt war, aus dem Fenster eines der Dutzenden Riesengebäude spähte, die er als kluge Immobilieninvestition am Strandgürtel erworben hatte, und das Meer sah. Und als er es sah, erinnerte er sich plötzlich daran, dass er eigentlich ein Fisch war. Ein sehr reicher, großer Fisch, der Dutzende Tochtergesellschaften und weltumspannende Börsenkonstruktionen besaß, aber immer noch ein Fisch. Ein Fisch, der schon seit Jahren das Salz des Meeres nicht mehr geschmeckt hatte.
    Als Avi’ad zu schreiben aufhörte, warf ihm die Leiterin einen fragenden Blick zu.
    »Ich habe keinen Schluss«, entschuldigte er sich im Flüsterton, um die alten

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