Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Titel: Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Etgar Keret
Vom Netzwerk:
würde. Er hatte die Arbeit, in die er sich hineinstürzen konnte, so viel er nur wollte, es gab immer irgendwas im Geschäft, das erledigt werden musste. Aber sie, seit der Fehlgeburt, blieb zu Hause sitzen, und immer wenn er heimkam, fand er sie im Wohnzimmer, wie sie so dasaß, aufrecht. Las nicht, sah nicht fern, weinte nicht einmal. Als Maja zögerte, konnte Avi’ad sie überreden. »Geh einmal hin, zum Ausprobieren«, sagte er, »so wie ein Kind ins Sommerlager geht.« Anschließend dachte er bei sich, dass es, nach allem, was sie erst vor zwei Monaten durchgemacht hatten, ein bisschen unsensibel gewesen war, ein Beispiel mit einem Kind zu bringen. Aber Maja brachte dieses Beispiel sogar zum Lächeln, und sie sagte, das würde ihr jetzt passen, ein Sommerlager.
    Die zweite Geschichte, die sie schrieb, war über eine Welt, in der die Menschen nur diejenigen zu sehen imstande waren, die sie liebten. Der Held der Geschichte war ein verheirateter Mann, der in seine Frau verliebt war. Eines Tages stieß seine Frau mit ihm im Gang zusammen, und das Glas, das er in der Hand hielt, fiel auf den Boden und ging zu Bruch. Einige Tage danach setzte sie sich auf ihn drauf, während er im Sessel ein Nickerchen machte. In beiden Fällen redete sie sich mit einem Vorwand heraus: Sie habe gerade an etwas anderes gedacht, sie habe nicht geschaut, als sie sich hinsetzte. Doch der Mann fing an, den Verdacht zu hegen, dass ihre Liebe zu ihm geendet hatte. Um diese Theorie zu testen, beschloss er, etwas Extremes zu tun: seine linke Schnurrbarthälfte abzurasieren. Er kam also mit einem halben Schnurrbart und einem Strauß Anemonen in der Hand nach Hause. Seine Frau dankte ihm für die Blumen und lächelte. Er bekam mit, wie sie in der Luft herumtastete, um ihm einen Kuss zu geben. Maja betitelte diese Geschichte »Der halbe Schnurrbart« und erzählte Avi’ad, dass es in der Klasse, als sie sie laut vorgelesen hatte, Leute gab, die weinten. Avi’ad sagte lächelnd zu ihr: »mein Talent« und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Noch in der gleichen Nacht stritten sie sich über irgendeinen Blödsinn. Sie hatte vergessen, ihm etwas auszurichten oder irgend so was, und er ließ seine Wut an ihr aus. Es war seine Schuld, und er entschuldigte sich auch am Ende.
    »Ich hatte heute einen höllischen Tag in der Arbeit«, sagte er und streichelte ihr Bein in einem Versöhnungsversuch, »verzeihst du mir?« Und sie verzieh.

    Der Leiter des Workshops hatte einen Roman und einen Kurzgeschichtenband veröffentlicht. Beides war kein wirklicher Erfolg, hatte jedoch ein paar gute Kritiken erhalten. Das war, was die Verkäuferin im Steimatzky-Buchladen zu Avi’ad sagte. Der Roman war schrecklich dick, sechshundertvierundzwanzig Seiten, und Avi’ad kaufte den Geschichtenband. Das Buch bewahrte er im Büro auf, und in den Mittagspausen las er darin. Sämtliche Geschichten in dem Band spielten im Ausland, das war irgendwie so das Ding dabei. Hinten auf dem Einband stand, dass dieser Schriftsteller Fremdenführer gewesen und viel in der Welt herumgereist war. Es gab da auch ein kleines Bild von ihm in Schwarzweiß. Auf dem Bild lächelte er so eingebildet pfauenhaft wie einer, der sich als Glückspilz fühlt, dass er als er selber geboren wurde. Maja erzählte Avi’ad, dieser Schriftsteller habe zu ihr gesagt, er würde ihre Geschichten nach dem Workshop an seinen Verleger geben, und dass man sich zwar nicht allzu große Hoffnung machen dürfe, die Verlage aber in den letzten Jahren mit der Kerze nach neuen Talenten suchten.

    Ihre dritte Geschichte begann sogar recht lustig. Sie handelte von einer schwangeren Frau, die eine Katze auf die Welt bringt. Der Held der Geschichte war der Ehemann, der den Verdacht hatte, die Katze sei nicht von ihm. Auf dem Dach des Müllhäuschens, direkt gegenüber dem Schlafzimmer des Ehepaars, döste ständig so ein rotfelliger, dicker Kater, der den Ehemann immer mit verächtlichen Blicken verfolgte, jedes Mal wenn er hinunterging, um den Abfall wegzuwerfen. Am Schluss kommt es zu einer gewalttätigen Konfrontation zwischen dem Ehemann und dem Kater. Der Ehemann wirft einen Stein nach dem Kater, und der Kater zahlt es ihm mit Bissen und Kratzern heim. In der Schlange zur Tetanusimpfung in der Poliklinik warten mit dem verletzten Ehemann auch seine Frau und das Katzenkind, das sie immer noch stillt. Der Ehemann ist geschmerzt und gedemütigt, doch er gibt sich alle Mühe, nicht zu weinen. Und das Katzenkind, das sein

Weitere Kostenlose Bücher