Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
sie. Keine solchen warmen Gedanken an die ganzen schönen Augenblicke, die wir hatten. Mehr so eine Art Bild von ihr in Unterhose und Hemdchen, wie sie mit offenem Mund schläft, schwer atmet, einen Spuckering auf dem Kissen hinterlässt, und von mir selber, wie ich sie anschaue. Was genau habe ich damals gefühlt, als ich sie betrachtete? Vor allem Erstaunen darüber, dass ich mich nicht ekle, und danach so eine Zuneigung. Nicht Liebe, Zuneigung. Mehr von der Sorte, die du gegenüber einem Tier oder einem Baby empfindest als gegenüber deiner Partnerin. Und dann weine ich. Fast jede Nacht. Kein Weinen der Reue, denn ich bereue nichts. Ich habe nichts zu bereuen. Sie ist diejenige, die gegangen ist. Und im Nachhinein ist es gut, dass wir uns getrennt haben, nicht nur für sie, für uns beide. Und noch besser ist es, dass wir es rechtzeitig getan haben, bevor Kinder dazwischen sind und alles nur noch komplizierter wird. Weshalb also weine ich dann? Weil das eben so ist. Wenn man dir etwas nimmt, auch wenn es Scheiße war, tut das weh. Sogar wenn man dir ein Geschwür entfernt, bleibt eine Narbe. Und die Nacht ist anscheinend die allerbeste Zeit, um daran zu kratzen.
Uzi hat ein neues Mobilteil. So eins, das in Echtzeit aktuelle Infos von der Börse erhält. Wenn der Aktienkurs seiner Computerfirma steigt, spielt ihm das Teil »Du bist eine Kanone« vor, und wenn er fällt, jault es »Allein« vom Oberschnulzer Zohar Argov. Schon seit einem Monat rennt er mit diesem Patent herum, und er findet es jedes Mal von neuem lustig. »Du bist eine Kanone« erheitert ihn mehr als »Allein«, denn trotz allem, es lacht sich leichter, wenn es Geldscheine vom Himmel auf dich runterregnet, als wenn sie dir jemand aus der Brieftasche zieht. Und heute, erklärt mir Uzi, ist ein feierlicher Tag, denn heute bereitet er sich darauf vor, stark in die Optionen beim NASDAQ einzusteigen. Diese Optionen heißen QQQQ, aber Uzi hält es für lustiger, sie Kukuriku zu nennen. Wenn der NASDAQ steigt – dann steigen sie auch. Und weil der NASDAQ nach Meinung von Uzi jeden Moment durch die Decke sausen kann, ist alles, was wir tun müssen, den Kukuriku beim Schwanz packen und mit ihm in den Himmel fliegen.
Es kostet Uzi zwanzig Minuten, mir das alles zu erklären, und am Ende der Erklärung kontrolliert er wieder das Display seines Mobilteils. Als er mit der Erklärung angefangen hat, stand der Kukuriku bei 1.4, jetzt ist er schon bei 1.55. »Was sind wir für Nieten«, klagt Uzi, während er ein Mandelcroissant vertilgt und Brösel in alle Richtungen verschießt, »kapierst du? Allein in dieser halben Stunde hätten wir über zehn Prozent mehr aus dem Geld machen können.«
»Warum sagst du ›hätten wir‹?«, frage ich. »Und von welchem Geld redest du? Meinst du, ich hab Geld, um es in so was reinzustecken?«
»Man muss nicht viel reinstecken«, sagt Uzi, »wir hätten mit fünftausend einsteigen können und hätten schon einen Schnitt von fünfhundert plus eingesackt. Haben wir aber nicht. Weißt du was? Vergiss es, was zieh ich dich da mit rein. Ich bin nicht eingestiegen. Und das, obwohl ich im tiefsten Herzen klipp und klar gewusst hab, so wie ein Baby weiß, dass seine Mama es immer lieben wird, dass der NASDAQ die 1.5 sprengen wird.«
»Es gibt Mütter, die ihre Babys im Stich lassen«, differenziere ich.
»Vielleicht«, murmelt Uzi, »aber nicht die Mama vom Kukuriku. Ich sag’s dir, ich hätte mein ganzes Geld darauf setzen sollen, aber ich hab lieber gewartet. Und weißt du, warum? Weil ich ein Loser bin.«
»Du bist kein …«, setze ich an, doch Uzi ist in Fahrt.
»Schau mich an, ich bin fünfunddreißig und hab noch nicht mal eine einzige Million.«
»Aber gerade vor einer Woche hast du doch zu mir gesagt, dass du an der Börse mit über einer Million veranlagt bist«, wende ich ein.
»Schekel«, schnaubt Uzi verächtlich, »was ist eine Million Schekel? Ich rede mit dir in Dollars.« Er schluckt kummervoll das letzte Stück des Croissants hinunter und spült mit einem Schluck Diätcola nach. »Schau dich um«, sagt er, »picklige Kiddies, die mir Kaffee im Styroporbecher in Start-ups serviert haben, die ich überhaupt erst erfunden habe, fahren Mercedes, während ich mit einem Peugeot 250 durch die Gegend kurve wie irgend so ein Leutnant.«
»Hör auf rumzuheulen«, sage ich zu ihm, »glaub mir, viele Leute würden tödlich gern mit dir tauschen.«
»Viele?«, lacht Uzi halb sardonisch in sich hinein. »Viele wer?
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