Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
ein bisschen husten würde, ein Husten, der von der Kälte kommt, aber auch von der Verzweiflung, denn auch sie dürfte wissen, im tiefsten Herzen, dass es keine Post in der Gegend gibt, die offen ist, garantiert nicht zu einer solchen Zeit, und die in diesem Moment, dem Augenblick der Wahrheit, nicht sagen würde, »jetzt komm«, und euch nicht fragen würde, was ihr in den Taschen habt, nur unendlich dankbar für die Briefmarke sein würde, vielleicht nicht mal unendlich dankbar, bloß hinreißend lächeln würde, ein hinreißendes Lächeln gegen eine Briefmarke – also ich wäre bereit, zu jeder Sekunde meines Lebens gegebenenfalls so ein Geschäft zu unterschreiben, auch wenn die Briefmarkenpreise in die Höhe schnellen und die Preise für Lächeln abstürzen würden.
Nach dem Lächeln würde sie danke sagen und wieder husten, wegen der Kälte, aber auch ein bisschen aus Verlegenheit. Und ich würde ihr ein Hustenbonbon anbieten. »Was hast du denn noch in den Taschen?«, würde sie fragen, aber so ganz lieb, ohne das »jetzt komm« und diese Negativität, und ich würde ohne zu zögern antworten: Alles, was du irgendwann einmal brauchen wirst, meine Liebe. Alles, was du irgendwann brauchst.
Das war’s, jetzt wisst ihr es. Das ist alles, was ich in den Taschen habe. Eine gewisse Chance, es nicht zu vermasseln. Eine gewisse. Keine riesige, nicht mal eine plausible. Ich weiß das, ich bin ja kein Trottel. Kommt, wir sagen mal so, eine klitzekleine Chance, dass ich, falls das Glück daherkommen sollte, »ja« zu ihm sagen kann und nicht, »’tschuldigung, tut mir leid, ich habe keine Zigarette/keinen Zahnstocher/keine Münze für den Getränkeautomaten«. Das ist es, was ich da drinnen, vollgestopft und ausgebeult, habe, eine winzige Chance, ja zu sagen und nicht bedauern zu müssen.
Schlechtes Karma
»Fünfzehn Schekel im Monat können deiner Tochter hunderttausend bescheren für den Fall, dass du, was wir nicht hoffen wollen, stirbst. Weißt du, was hunderttausend Schekel für eine Waise sind? Das ist exakt der Unterschied zwischen einem akademischen Beruf und einer Sprechstundenhilfe bei einem Zahnarzt.«
Seit dem Unfall hatte Oschri begonnen, wie verrückt Policen zu verkaufen. Es war nicht klar, ob es wegen seines leichten Hinkens war oder wegen der gelähmten rechten Hand, aber die Leute, die sich mit ihm zu einem Termin zusammensetzten, wurden überzeugt und kauften alles: Lebensversicherungen, Arbeitsunfähigkeitsversicherungen, medizinische Zusatzversicherungen, einfach alles. Und wenn Oschri anfangs auch noch auf seinen alten Geschichten beharrte – wie von dem Jemeniten, den genau an dem Tag, als er bei ihm eine Versicherung abgeschlossen hatte, ein Eislaster überfuhr, oder von dem einen aus Kefar Schemarjahu, der lachte, als ihm Oschri eine Krankenversicherung vorschlug, und einen Monat später weinend anrief und sagte, dass sie bei ihm Krebs in der Bauchspeicheldrüse entdeckt hatten –, so begriff er doch ganz schnell, dass seine persönliche Geschichte mehr als alle anderen zog. Da hatte er, Oschri Siwan, Versicherungsagent, mit einem potentiellen Kunden in einem Café am Stadtpark gesessen, als plötzlich, mitten in der Besprechung, ein junger Mensch, der beschlossen hatte, seinem Leben ein Ende zu setzen, aus dem elften Stock des Gebäudes nebenan sprang und bumms! – Oschri auf den Kopf fiel. Der Sturz tötete den jungen Mann, und Oschri, der gerade dem noch zaudernden Kunden die Geschichte von dem Jemeniten und dem Eislaster zu Ende erzählt hatte, verlor auf der Stelle das Bewusstsein. Er wachte nicht auf, als man ihm Wasser ins Gesicht spritzte, und auch nicht im Krankenwagen. Er wachte auch in der Notaufnahme nicht auf und nicht einmal auf der Intensivstation. Er lag im Koma. Die Ärzte wussten nicht, was am Ende aus ihm werden würde. Seine Frau saß an seinem Bett und weinte die ganze Zeit, und die Tochter auch. Und so brachten sie sechs Wochen zu, bis unverhofft ein großes Wunder geschah – Oschri erwachte aus dem Koma, als sei nichts gewesen, schlug einfach die Augen auf und stand auf. Und mit diesem Wunder stellte sich auch die bittere Wahrheit ein – unser Oschri, der immer so schön gepredigt hatte, hatte sich wie ein Narr nicht die Mühe gemacht, sich hübsch daran zu halten. Nachdem er für sich selbst nicht dafür gesorgt hatte, irgendeine Versicherung abzuschließen, war er gezwungen, seine Wohnung zu verkaufen und in eine Mietwohnung zu ziehen, da er die
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