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Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Titel: Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Etgar Keret
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schon die Kraft, vier Stockwerke mit Krücken runterzuhumpeln? Und noch bevor sie richtig begriff, was geschah, nahm er sie auch schon wie einen Sack Mehl auf den Rücken, und so stiegen sie vier Stockwerke hinunter.
    Er brachte sie auf seinem Rücken bis zum Me’ir-Park, wo sie auf einer Bank saßen und eine Zigarette rauchten. Auch dort war es heiß und feucht, aber wenigstens gab es einen Wind, der den Schweiß trocknete. Es war mir wichtig, dass du mir verzeihst, sagte er, es war mir schrecklich wichtig, ich kann dir nicht mal erklären, warum. Es ist nicht so, dass ich mich zu Frauen in meinem Leben nicht schon früher mal beschissen verhalten hätte, aber mit dir … Er begann zu weinen. Am Anfang kapierte sie nicht, dass es das war, was er machte, sie dachte, er hustete oder würgte oder irgend so was, doch er weinte schlicht und ergreifend. Hör auf damit, du bekloppter Knallkopf, sagte sie zu ihm halb im Scherz, die Leute schauen schon, die denken sonst noch, ich hab dich abserviert, dass ich dir das Herz gebrochen habe. Ich bin bekloppt, sagte David zu ihr, ich bin wirklich voll bescheuert. Ich hätte … Du warst nie in Cleveland. Wo ist Cleveland, und wo ist Tel Aviv. Sie sah, dass er sagen wollte, wo ist Karen und wo bist du, und war froh, dass er es nicht sagte.

    Die vier Stockwerke aufwärts erklommen sie langsam. Er hatte keine Kraft mehr, sie huckepack zu tragen, also stützte sie sich einfach auf ihn und kletterte Stufe um Stufe hinauf. Bis sie bei ihrer Tür angelangten, schwitzten sie beide schon wieder, und unter dem Gips fing erneut dieses zum Wahnsinn treibende Jucken an. Willst du, dass ich gehe?, fragte er, und sie schüttelte den Kopf, doch ihr Mund sagte, sie glaube, es sei besser. Nachher, vor dem Ventilator im Bett, versuchte sie für sich selbst zu rekapitulieren, was eigentlich überhaupt an dieser ganzen Geschichte war: Ein Amerikaner und eine Israelin, die sich auf zufälligste Weise begegnen. Ein netter Abend. Ein bisschen Spucke auf ihrer linken Handfläche, die an Davids Glied auf und ab reibt. Und diese ganzen nicht wirklich wichtigen Einzelheiten schleppen zwei Menschen von zwei Seiten des Ozeans schon fast ein Jahr mit sich herum. Es gibt Menschen, die fallen aus dem dritten Stock eines Hauses und kommen mit höchstens einem blauen Flecken auf dem Hintern davon, und es gibt solche, die einmal nicht richtig auf einer Stufe auftreten und mit einem Gips im Krankenhaus landen. Offenbar gehörten sie und David zu der zweiten Sorte.

Was haben wir in den Taschen?
    Ein Feuerzeug, Hustenbonbons, eine Briefmarke, eine einzelne Zigarette, leicht verbogen, ein Zahnstocher, ein Stofftaschentuch, ein Stift, zwei Fünf-Schekel-Münzen. Das ist nur ein kleiner Teil von dem, was ich in den Taschen habe. Was wundert es also, dass sie dermaßen ausgebeult sind? Viele Leute haben deswegen schon eine Bemerkung zu mir gemacht. Sie haben zu mir gesagt: »Jetzt komm, was hast du denn bloß in den Taschen?« Den meisten gebe ich keine Antwort, lächele nur, manchmal stoße ich sogar so ein kurzes, bezeichnendes Auflachen aus. Als hätten sie mir einen Witz erzählt. Wenn sie darauf beharren und mich noch mal fragen würden, würde ich ihnen bestimmt alles zeigen, was ich dort habe, ihnen vielleicht sogar erklären, warum ich diese ganzen Dinge brauche, bei mir haben muss, ständig. Aber sie tun’s nicht. Jetzt komm, Lächeln, kurzes Lachen, ein Moment peinlichen Schweigens, und schon sind wir beim nächsten Thema.
    Die Wahrheit ist, dass sich alles, was ich in den Taschen habe, aus überlegter Vorausplanung dort befindet. Das ist alles dafür, damit ich im Augenblick der Wahrheit in einer vorteilhaften Position sein könnte. Wobei das eigentlich nicht exakt ist. Das ist alles da drin, damit ich im Augenblick der Wahrheit nicht in einer nachteiligen Position bin. Denn welchen Vorteil können ein Holzzahnstocher und eine Briefmarke schon bieten? Aber wenn euch zum Beispiel ein hübsches Mädchen – wisst ihr was, sogar ein nicht hübsches, einfach nur ein bezauberndes, ein ganz gewöhnliches Mädchen dem Aussehen nach, aber mit einem hinreißenden Lächeln, das euch die Luft anhalten lässt – um eine Briefmarke bitten würde, sogar nicht mal bitten, bloß so auf der Straße stehen, an einem regnerischen Abend, mit einem Umschlag ohne Briefmarke in der Hand, neben einem roten Briefkasten, und fragen würde, ob ihr zufällig wisst, wo es eine Post gibt, die zu dieser Zeit offen hat, und danach

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