Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
anders. Und auch wenn jemand an das Gute glauben wollte, könnte ein Mensch niemals vorsichtig genug sein.
»Falls Sie trotzdem was brauchen sollten«, sagte er zu ihr, bevor sie ging, »rufen Sie an. Ich verspreche, ich werde nicht versuchen, Ihnen eine Versicherung zu verkaufen.« Sie lächelte und nickte. Beide wussten, dass sie nicht anrufen würde.
Auf der Rückfahrt vom Friedhof meldete sich Oschris Frau. Sie wollte, dass er das Mädchen für sie abholte. Oschri erklärte sich sofort damit einverstanden, und als sie ihn fragte, wo er sei, schwindelte er, er sei in Ramat Hascharon bei einem Termin mit einem Kunden. Er hätte es sich selbst nicht erklären können, weshalb genau er log. Es war nicht wegen dieser Berührung, die er immer noch spürte, an der Schulter. Auch nicht, weil er ohne Grund zu einer Gedenkfeier gegangen war. Wenn überhaupt, war es deswegen, weil er Angst hatte, sie würde mitkriegen, wie dankbar er diesem Jungen, Nathi, war, der anscheinend klug, erfolgreich und beliebt gewesen war, nicht weniger als Oschri, und trotzdem beschlossen hatte, »Basta« zu sagen und aus dem Fenster zu springen. Als er Meital von dem Kurs abholte, zeigte sie ihm stolz das Modell eines bunten Flugzeugs, das sie gebaut hatte, und er bewunderte es laut und fragte sie, wann sie beabsichtige, es in den Himmel fliegen zu lassen. »Überhaupt nie«, Meital bedachte ihn mit einem herablassenden Blick, »das ist doch bloß ein Modell.« Und Oschri nickte verlegen und sagte, sie sei ein kluges Mädchen.
»Reingoldträume«
Seit dem Unfall schliefen er und seine Frau viel seltener zusammen. Sie redeten nie darüber, aber er spürte, dass es auch von ihrer Seite aus in Ordnung war. Als ob sie nach dem Unfall und dem Ganzen so froh darüber war, dass er zurückgekehrt war, dass sie nicht die Absicht hatte, darauf herumzureiten. Wenn sie dann mal miteinander schliefen, war es nett. Nicht weniger nett, als es früher gewesen war, nur dass sein Leben jetzt eine andere Perspektive erhalten hatte. So eine, die mit jener Welt zusammenhing, in die zu gelangen dir etwas aus einem hohen Stockwerk drauffallen musste, eine Perspektive, die alles irgendwie verzwergte. Nicht nur den Sex, auch seine Liebe zu ihr, die Liebe zu seiner Tochter, rein alles.
Wenn er wach war, erinnerte er sich nicht, wie sich diese Welt des Komas genau anfühlte, und wenn er versucht hätte, es jemandem zu beschreiben, wäre es ihm nicht gelungen. Er probierte es nur ein einziges Mal, als er mit einer Blinden über einer Lebensversicherungspolice zusammensaß. Es war unklar, weshalb er dachte, ausgerechnet sie würde es verstehen, auf alle Fälle begriff er ohnehin nach drei Sätzen, dass er ihr nur Angst machte, worauf er aufhörte. Doch im Traum konnte er wirklich dorthin zurückkehren. Und diese Träume von dem Koma wurden immer häufiger. Er spürte, dass er regelrecht anfing, süchtig nach ihnen zu werden. Am Abend, lange bevor er ins Bett ging, begann er immer schon vor Erwartung zu fiebern wie ein Flüchtling, der nach Jahren im Exil in ein Flugzeug nach Hause steigt. Es war lustig, aber manchmal war er so aufgeregt, dass es ihm nicht gelang einzuschlafen, und dann fand er sich starr neben seiner schlafenden Frau im Bett liegen, wie er versuchte, sich mit allen möglichen Methoden zu beruhigen. Eine davon war Onanieren. Und seit jener Begegnung am Friedhof dachte er immer, wenn er onanierte, an Ma’ajan und an ihre Berührung an seiner Schulter. Nicht weil sie hübsch war. Wobei es nicht so war, dass sie nicht hübsch gewesen wäre. Sie hatte so eine Art fragile Schönheit, die der Jugend entsprang und mit einem nahenden Verfallsdatum einherging, einem sehr nahen. Auch seine Frau hatte früher, vor vielen Jahren, als sie sich kennengelernt hatten, eine solche Schönheit besessen. Aber deswegen dachte er nicht an Ma’ajan, sondern weil sie mit dem Mann in Zusammenhang stand, der ihm geholfen hatte, in diese Welt der Farben und der Stille zu gelangen, und wenn er mit ihr onanierte, war es, als onanierte er mit dieser Welt, die plötzlich, dank ihrer, die Form einer Frau erhalten hatte.
Und während dieser ganzen Zeit flogen ihm die Policen weiterhin in schwindelerregendem Tempo zu. Er wurde bloß immer besser. Wenn er sie jetzt zu verkaufen versuchte, ertappte er sich häufig dabei, dass er zu weinen anfing. Es war ein Weinen, das aus dem Nirgendwo kam. Und es verkürzte die Termine. Oschri weinte, entschuldigte sich, die Kunden sagten sofort,
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