Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
dank des kleinen lästigen Mannes in ihrem Hinterteil, wurde die Hämorride zu einer allseits beliebten Hämorride: bei Hämorriden, Menschen und natürlich bei den zufriedenen Aktionären der Firma, die über die ganze Welt verstreut waren.
September das ganze Jahr
Als die große Depression begann, erwischte es ND am schlimmsten. Ihr Produkt war zwar für die oberen Zehntausend bestimmt, die gegen Flauten eigentlich immun sein sollten, doch nach der Lynchaffäre in Chicago hörten auch die Millionäre zu kaufen auf. Ein Teil wegen der miserablen Wirtschaftslage, die meisten jedoch aus Angst oder weil es ihnen einfach vor den Nachbarn unangenehm war. Die Aktie blieb platt am Boden der Geschäftszimmer der Weltbörsen liegen, blutete Prozent um Prozent aus, und ND wurde zum Symbol der Wirtschaftskrise. Das Wall Street Journal widmete der Firma eine Titelgeschichte unter der Schlagzeile »Schlechte Winde im September«, eine Art persiflierte Imitation ihrer Werbung »September das ganze Jahr«, in der eine Familie, nur mit Badesachen bekleidet, an einem sonnigen Sommermittag zu sehen war, wie sie einen Tannenbaum für Weihnachten schmückte. Diese Werbung griff wie ein Lauffeuer um sich. Eine Woche nachdem man angefangen hatte, sie auszustrahlen, verkaufte die Firma bereits dreitausend Einheiten am Tag. Reiche Geschäftsleute kauften, aber auch weniger reiche, die versuchten, Eindruck zu schinden. ND wurde zum Statussymbol – der Koscher-Stempel der Millionäre. Was in den Neunziger- und Zweitausenderjahren das Privatflugzeug symbolisierte, symbolisierten jetzt sie. »Nice Day«, Wetter für die Reichen. Wenn man im eisigen Island lebte und der Schnee und das Grau einen um den Verstand brachte, brauchte man bloß seine Kreditkartennummern einzuspeisen, und schon besorgten sie einem, mit ein oder zwei Satelliten, eine sonnenüberflutete Terrasse mit einer Ibiza-Herbstbrise an jedem einzelnen Tag des Jahres.
Mucki Ilon war einer der Ersten, die das System von ihnen erwarben. Er liebte sein Geld, und es kam ihn ungemein hart an, sich davon zu trennen, aber noch mehr als er die Millionen, die er mit Waffen- und Medikamentenverkäufen nach Rhodesien gescheffelt hatte, liebte, hasste er den feuchten New Yorker Sommer, das widerliche Gefühl eines schweißnassen Unterhemds, das einem am Rücken pappte. Er kaufte das System nicht nur für sich allein, sondern gleich für den ganzen Block. Es gab Leute, die das irrtümlich als Großzügigkeit interpretierten, doch die Wahrheit war, dass er das tat, weil er wollte, dass dieses phantastische Wetter bis zum Minimarkt an der Straßenecke für ihn anhielte – ein Minimarkt, der, außer dass er Mucki Ilon Nobels verkaufte, die extra für ihn aus Haifa, Israel, importiert wurden, mehr als alles andere für ihn auch die Grenzmeile seines Lebensbereichs bezeichnete. Und seit Mucki den Scheck unterschrieben hatte, war das Wetter in dem Block schlicht paradiesisch. Ohne fiesen Regen und ohne verschissene Hitzewellen. Schlicht und einfach September das ganze Jahr. Und nicht etwa der sprunghafte, nervende September von Manhattan, sondern der der Stadtlandschaften, in denen er als Kind aufgewachsen war. Bis plötzlich diese Lynchaffäre in Chicago daherkam und die Nachbarn damit anfingen zu verlangen, er solle ihnen diesen ewigen Herbst sofort abstellen. Anfangs ignorierte er es, doch dann trafen die Briefe von den Rechtsanwälten ein, und jemand hinterließ ihm sogar einen abgeschlachteten Pfau auf der Windschutzscheibe des Autos. Nachdem das passiert war, bat auch seine Frau, er solle ihn abschalten. Das war im Januar. Mucki schaltete die Sonne und die Wärme aus, und innerhalb einer Sekunde wurde der Tag kurz und traurig. Alles wegen einem geschlachteten Pfau und einer ängstlichen anorexischen Frau, der es wie immer gelang, ihn mit ihrer Schwäche unterzukriegen.
Die Depression verschärfte sich zunehmend. Die Aktienkurse von ND an der Wall Street sanken auf Grund. Nicht nur sie, auch die von Muckis Firma. Und kurz nachdem sie den Boden erreicht hatten, bohrten sie ein Loch hinein und fielen weiter, in den Keller. Merkwürdig, die Logik besagt, dass gerade Waffen und Medikamente in Phasen einer weltweiten Wirtschaftskrise gut laufen sollten, doch es stellte sich das Gegenteil heraus. Die Leute hatten kein Geld, um Medikamente zu kaufen, und sehr rasch entdeckten sie, was sie seit langem vergessen hatten: Dass eine geladene Waffe ein Luxusgut ist und manchmal einfach bloß ein
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