Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
großer Stein genügt, den man im Hof gefunden hat, um jemandem den Schädel einzuschlagen. Alle lernten ganz schnell, ohne Muckis Gewehre auszukommen, sehr viel schneller, als Mucki es schaffte, sich an das traurige Endfebruarwetter zu gewöhnen. Und Mucki Ilon, oder »Mucki Million«, wie ihn die Lokalpresse zu nennen beliebte, machte bankrott.
Die Wohnung blieb – dem fixen Buchhalter der Firma gelang es noch, sie rückwirkend auf den Namen der anorexischen Frau einzutragen –, doch der ganze Rest ging dahin. Sogar die Möbel nahmen sie mit. Vier Tage danach traf der Techniker von ND ein, um die Verbindung zu kappen. Als er an die Tür klopfte, war er völlig durchnässt vom Regen. Mucki kochte eine Kanne heißen Kaffee, und sie redeten ein bisschen miteinander. Mucki erzählte ihm, dass er kurz nach der Affäre in Chicago aufgehört habe, das System zu benutzen. Der Techniker sagte zu ihm, dass viele Kunden aufgehört hätten. Sie sprachen über die Lynchaffäre, bei der eine zornentbrannte, hungrige und halb erfrorene Menge ihre Wut an einer angenehm sommerlichen Villa von Reichen ausgelassen hatte. »Die Sonne über ihrem Haus hat uns einfach rasend gemacht«, erzählte einer der Randalierer ein paar Tage danach in einer Fernsehreportage. »Wir erfrieren hier ohne Geld für Heizung, und diese Hunde, diese Hunde …« An dieser Stelle brach er in Tränen aus. Sein Gesicht wurde in der Sendung nur unscharf gezeigt, damit man ihn nicht identifizieren könnte, weshalb man die Tränen nicht so richtig sehen konnte, doch man konnte ihn jaulen hören wie ein überfahrenes Tier. Der Techniker, ein Schwarzer, sagte, dass er in diesem Viertel in Chicago geboren worden sei und sich heute schon schäme, das laut zu sagen.
»Dieses Geld«, sagte er zu Mucki, »dieses stinkige Geld hat uns bloß die Welt versaut.«
Nach dem Kaffee, als der Techniker bereits die Vorbereitungen zur Demontage traf, bat ihn Mucki, ihn den Satelliten noch ein letztes Mal in Betrieb setzen zu lassen. Der Techniker zuckte mit den Schultern, was Mucki als ein Ja auslegte. Er drückte auf ein paar Knöpfe der Fernbedienung, und plötzlich trat die Sonne hinter der Wolkendecke heraus. »Das ist keine echte Sonne, wissen Sie«, sagte der Techniker stolz, »das ist letztendlich die Simulation einer Sonne. Man macht das mit Lasern.« Worauf ihm Mucki zuzwinkerte und sagte:
»Lass mal, mach’s nicht kaputt. Für mich ist das Sonne.« Und der Techniker lächelte und sagte:
»Eine super Sonne. Schade, dass man sie nicht anlassen kann, bis ich wieder beim Auto bin. Ich hab echt bald schon keinen Nerv mehr für diesen Regen.« Mucki antwortete nicht, schloss nur die Augen und ließ die sanften Sonnenstrahlen sein Gesicht streicheln.
Dschouzef
Es gibt Gespräche, die können einem Menschen das Leben verändern. Ich bin mir sicher. Das heißt, ich möchte es glauben. Ich sitze im Café mit einem Produzenten. Er ist nicht direkt Produzent, er hat noch nie was produziert, aber er will produzieren. Er hat eine Idee für einen Film, und er will, dass ich ihm das Drehbuch schreibe. Ich erkläre ihm, dass ich nicht fürs Kino schreibe, und er akzeptiert das und ruft nach der Bedienung. Ich bin sicher, dass er die Rechnung haben will, aber er bestellt sich noch einen Espresso. Die Bedienung fragt mich, ob ich auch noch etwas möchte, und ich verlange ein Glas Wasser. Der Möchtegernproduzent heißt Josef, aber er stellt sich englisch ausgesprochen, als »Dschouzef«, vor. »Niemand«, so sagt er, »wird wirklich Josef genannt. Immer ist es Seppi oder Jossi oder Jos, also habe ich Dschouzef genommen.« Er ist ein scharfer Kopf, dieser Dschouzef. Durchschaut mich innerhalb einer Sekunde. »Du bist beschäftigt, ha?«, sagt er, als er sieht, wie ich auf die Uhr schiele, und fügt sofort hinzu:
»Sehr beschäftigt. Reist, arbeitest, schreibst E-Mails.« Es liegt überhaupt keine Bösartigkeit oder Ironie in der Art, in der er das sagt. Wie eine Tatsachenfeststellung, höchstenfalls Anteilnahme. Ich nicke.
»Hast du Schiss davor, nicht beschäftigt zu sein?«, fragt er. Ich nicke wieder.
»Ich auch«, sagt er und lächelt mit gelben Zähnen. »Schließlich gibt es da irgend so etwas drunter. Was Bedrohliches. Wenn nicht, dann würden wir unsere Zeit nicht so nahtlos mit allen möglichen Projekten verbraten. Und weißt du, wovor ich am allermeisten Angst habe?«, fragt er. Ich zögere eine Sekunde, denke über eine Antwort nach, doch Dschouzef redet schon
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