Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Titel: Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Etgar Keret
Vom Netzwerk:
antwortete:
    »Ein großer blauer Autobus.«
    Gilad nickte, und mit einer Stimme, die vollkommen normal zu klingen versuchte, ohne die leiseste Spur von Tränen, fragte er, ob es wichtig sei, dass dieser Autobus eine bestimmte Nummer habe. Worauf Hillel lächelnd den Kopf schüttelte.
    Sie gingen zusammen zur Diezengoffstraße und warteten an einer Haltestelle. Der erste Autobus, der ankam, war rot. Sie stiegen nicht ein. Gleich darauf traf jedoch noch einer ein, ein großer blauer. Die Nummer 1 nach Abu Kabir. Während Gilad eine Fahrkarte kaufte, wartete Hillel geduldig, wie er versprochen hatte, und danach hangelte er sich vorsichtig den Zwischengang entlang, wobei er die Stangen zu Hilfe nahm. Sie setzten sich nebeneinander in die hinterste Reihe. Der Autobus war gähnend leer. Gilad versuchte sich an das letzte Mal zu erinnern, als er nach Abu Kabir gefahren war. Das war, als er noch Assistent gewesen war und ihn jemand aus der Kanzlei hingeschickt hatte, um irgendeinen Obduktionsbericht zu kopieren, der verlorengegangen war. Das war, noch bevor er begriffen hatte, dass Strafrecht nichts für ihn war. Hillel fragte, ob dieser Autobus zum Kindergarten fuhr, und Gilad sagte, so ungefähr, das heißt, metaphorisch, am Schluss würde er beim Kindergarten ankommen. Wenn Hillel ihn jetzt gefragt hätte, was »metaphorisch« hieß, was er manchmal machte, wenn er über solche Wörter stolperte, hätte Gilad ein Problem gehabt. Doch Hillel fragte nicht, legte nur seine kleine Hand auf Gilads Oberschenkel und schaute aus dem Fenster. Gilad lehnte sich zurück, schloss die Augen und versuchte, an nichts zu denken. Der Wind vom offenen Fenster war stark, jedoch nicht allzu sehr, sein Körper atmete langsam, und seinen Lippen war keine Bewegung anzusehen, doch im Herzen wiederholte er in einem fort:
    »Ich will ich will ich will ich will ich will ich will ich will.«

Die Hämorride
    Das ist die Geschichte von einem Mann, der an einer Hämorride litt. Nicht an vielen Hämorriden, an einer einzelnen, alleinstehenden Hämorride. Diese Hämorride begann klein und lästig, wurde jedoch sehr rasch mittelgroß und quälend, und innerhalb nicht einmal zweier Monate war sie bereits groß und wirklich schmerzhaft geworden. Der Mann lebte sein Leben weiter wie gewöhnlich: Arbeitete jeden Tag bis spätabends, amüsierte sich am Wochenende, vögelte nebenher, wenn sich eine Möglichkeit ergab. Doch diese Hämorride, die ihm an der Ader hing, erinnerte ihn bei jeder längeren Sitzung oder angestrengtem Stuhlgang, dass das Leben brennen hieß, dass das Leben schwitzen ließ, dass das Leben pausenlos fucking störend war. Und so pflegte der Mann vor jeder wichtigen Entscheidung auf seine Hämorride zu hören wie andere auf ihr Gewissen. Und die Hämorride, wie eine Hämorride eben, gab dem Mann Ratschläge aus dem Arsch. Ratschläge, jemanden zu feuern, Ratschläge, nicht nachzugeben, Ratschläge, böse zu werden und auch ein bisschen zu nörgeln. Es funktionierte, und von Tag zu Tag hatte der Mann mehr Erfolg. Die Gewinne der Firma, an deren Spitze er stand, wurden ständig größer, während gleichzeitig auch die Hämorride zunehmend wuchs. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die Hämorride bereits größer als der Mann war. Doch auch dann hörte sie nicht zu wachsen auf. Bis zu guter Letzt an der Spitze des Direktoriums der Firma die Hämorride stand. Und bisweilen, wenn sich die Hämorride auf dem Sessel im Sitzungszimmer niederließ, war der Mann unter ihr etwas lästig für sie.

    Das ist die Geschichte von einer Hämorride, die an einem Mann litt. Die Hämorride lebte ihr Leben weiter wie gewöhnlich: Arbeitete jeden Tag bis spätabends, amüsierte sich am Wochenende, vögelte nebenher, wenn sich eine Möglichkeit ergab. Aber dieser Mann, der ihr an der Ader hing, erinnerte die Hämorride bei jeder längeren Sitzung oder angestrengtem Stuhlgang daran, dass das Leben lieben hieß, dass das Leben wehtun ließ, dass das Leben fucking scheitern, aber auch nach Gutem streben hieß. Und die Hämorride hörte auf den Mann, so wie Menschen oftmals auf ihren knurrenden Bauch hören, der nach Nahrung verlangt – ohne große Lust, aber mit Ergebenheit. Dank dieses Mannes bemühte sich die Hämorride zu glauben, dass sie fähig war zu verzichten und versuchte es. Auf ihre Ehre. Und auch ein bisschen vorsichtig mit der Ehre anderer umzugehen. Und wenn sie schon fluchte, achtete sie streng darauf, keine Eltern dabei zu involvieren. Und so,

Weitere Kostenlose Bücher