Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
nichts, registriert nicht einmal, dass sich ihre Hand bewegt, doch seine Wange spürt die Ohrfeige.
Beim letzten Mal, und das einzige Mal, dass Pnina jemanden geohrfeigt hat, war es Avner. Das passierte siebzehn Jahre vorher. Er war da noch nicht reich oder bitter mit Ansatz zur Glatze, aber schon damals hatte er diese Sicherheit, dass alles ihm gehörte. Es war ihre erste Verabredung, und sie gingen in ein Restaurant. Avner redete den Kellner blöd an und zwang sie, ihr Essen zurückgehen zu lassen, das zwar nicht überwältigend, aber annehmbar war. Es wollte ihr nicht in den Kopf, was sie mit diesem überheblichen Kerl am gleichen Tisch machte. Ihre Mitbewohnerin hatte sie verkuppelt. Ihr hatte sie gesagt, dass Avner brillant sei, und ihm, sie sei bezaubernd, was im Grunde ihre Art war auszudrücken, dass Pnina hübsch war, ohne dass es sich chauvinistisch anfühlte. Avner redete den ganzen Abend mit ihr über Aktien und Anteile und institutionelle Körperschaften, ließ sie kein Wort dazwischen einschleusen. Nach dem Essen brachte er sie in seinem ramponierten weißen Autobianchi zu ihrer Wohnung zurück. Er hielt am Hauseingang, stellte den Motor ab und schlug vor, dass er mit hinaufkäme. Sie sagte, sie denke nicht, dass das eine gute Idee sei. Er erinnerte sie daran, dass er ihre Mitbewohnerin kannte und dass er nur einen Moment mit hinaufkommen wolle, um Hallo zu sagen. Hallo und danke, dafür dass sie sie miteinander bekanntgemacht hatte. Pnina lächelte höflich und sagte, dass ihre Mitbewohnerin erst spät zurückkommen würde, da sie heute Abend Schicht habe. Sie versprach, ihr die Grüße und auch den Dank auszurichten, und sie hatte schon die Wagentür aufgemacht, um auszusteigen, als Avner sie wieder schloss und sie küsste. Es lag keinerlei Zögern in seinem Kuss, da war nichts Suchendes oder Fragendes, wie sie sich, dort auf der anderen Seite des Kusses, wohl fühlte. Es war nur ein Kuss auf den Mund, doch er fühlte sich an wie eine Vergewaltigung. Pnina ohrfeigte ihn und stieg aus dem Wagen. Avner versuchte nicht, ihr nachzulaufen oder zu rufen. Vom Balkon der Wohnung aus konnte sie seinen Autobianchi sehen, der unten stand, regungslos. Vielleicht eine Stunde. Er stand immer noch da, als Pnina schlafen ging. Am Morgen weckte sie ein Bote mit einem riesigen und ein wenig geschmacklosen Blumenstrauß auf. Auf dem Zettel stand nur ein einziges Wort. Verzeihung.
Als der mit den Brauen nach Hause kommt, schläft seine Frau bereits. Er fühlt sich überhaupt nicht müde. Sein Körper platzt vor Adrenalin. Sein Verstand weiß zwar, dass all diese Ohnmachten, die Warterei und die merkwürdigen Debatten heute Abend für nichts waren, doch sein Körper ist dumm genug, das ernst zu nehmen. Statt ins Bett zu gehen, setzt er sich an den Computer und überprüft die E-Mails. Die Einzige, die er erhalten hat, ist von irgendeinem Trottel, der mit ihm zusammen in die Grundschule gegangen ist und seine Mail-Adresse über eine Internetseite gefunden hat. Das ist es, was an dieser ganzen Technologie echt frustrierend ist, denkt sich der mit den Brauen. Die, die das Internet erfunden haben, waren Genies und haben sicher geglaubt, dass sie die Menschheit voranbringen, und das Ende vom Lied ist, dass die Menschen, statt diese ganze technologisch intellektuelle Raffinesse auszunutzen, um zu forschen und sich zu bilden, sie dazu verwenden, um irgendeinen armen Tropf zu belästigen, der in der vierten Klasse neben ihnen die Bank gedrückt hat. Was soll er diesem Jiftach Rozales denn eigentlich zurückschreiben? Erinnerst du dich, wie wir genau in der Mitte vom Tisch eine Linie gezogen haben? Wie du mir den Ellbogen reingerammt hast, wenn ich die Hälfte übertreten habe? Der mit den Brauen versucht sich auszudenken, wie das Leben dieses Jiftach Rozales wohl aussieht, wenn alles, was er in seiner Freizeit zu tun hat, ist, irgendeinen Jungen zu suchen, den er nie wirklich mochte und der vor dreißig Jahren mit ihm in der gleichen Klasse war. Nachdem er ein paar Minuten seinen Dünkel an Rozales ausgelassen hat, beginnt der mit den Brauen, über sich selbst nachzudenken. Man kann sich auch Gedanken machen, was er mit seinem Leben anfängt. Beugt sich über stinkende Münder, bohrt und füllt Löcher in verfaulten Zähnen. »Eine ehrenwerte Arbeit«, das sagt seine Mutter immer, wenn sie von Zahnärzten spricht. Aber was ist so ehrenwert daran? Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen ihm und einem Installateur?
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