Ploetzlich Liebe
untergebracht, das wahrscheinlich älter ist als alles in Kalifornien. Im zweiten Stock gibt es ein Café mit lauter dunklen Holzmöbeln und ernsthaften Oxford-Typen. Perfekt.
Ich schlängele mich zu den Toiletten durch und schlüpfe schnell in mein erstes neues Outfit: karierter Rock und blassrosa Pulli. Dazu noch dicke graue Strumpfhosen und eine zarte kleine Goldkette, wie die von Portia und – fertig. Instant Preppy. Auf dem Rückweg vom Kaffeetresen nehme ich sogar noch ein paar Fachbücher mit, die ich mir für den Essay diese Woche ansehe: die perfekte Raleigh-Studentin.
Eine Weile lese ich still vor mich hin, ein Stück Käsekuchen und ein Latte XL geben mir Kraft. Der Raum ist voll von Leuten und zu meiner Erleichterung füge ich mich total ins Bild. Ältere Männer, die über Stapeln bedruckter Seiten brüten, jüngere Typen, die gebannt in ihre zerfledderten Romane starren, aber alle sehen sie irgendwie bieder und,
naja, britisch aus. Es gibt mir einen Kick, dass mir niemand ansehen kann, wo ich herkomme und was ich gemacht habe, aber kein artiger Wollpullover der Welt wird mich auf meiner Lektüreliste voranbringen. Nachdem ich zehn Minuten lang auf ein und dieselbe Seite gestiert habe, lege ich mit einem lauten Seufzer den Stift hin.
»Hast du – äh – hast du Schwierigkeiten damit?« Der Junge am Nebentisch sagt das, und erstaunt schaue ich zu ihm rüber. Er hat längeres braunes Haar, das ihm in die Augen fällt, und ein irgendwie eckiges Gesicht, aber der interessierte Gesichtsausdruck scheint ziemlich echt zu sein.
»Ja«, gebe ich zu. »Ich kapier das nicht. Wenn das so weitergeht, brauche ich schon einen Tutor, um nur bis ans Ende des Kapitels zu kommen!«
Er lächelt, irgendwie nervös. »Na, wenn das so ist … ich, ich bin Tutor.«
»Tatsächlich?« Das heitert mich auf.
»Hm.« Er räuspert sich. »Politische Philosophie?«
»Genau.« Ich strahle, dabei lasse ich seine Cordhosen und den blauen Pullover auf mich wirken. Angezogen ist er wie der absolute Oberstreber, aber streberhaft ist wahrscheinlich ganz gut für einen potenziellen Tutor. »Ich hab da diese feministische Professorin, die mir echt zu schaffen macht.«
»Elliot?«
»Woher weißt du das?«
Er zuckt die Achseln. »Letztes Jahr hatte ich Kurse bei ihr, und außerdem ist sie die einzige Feministin auf weiter Flur.«
»Du bist also im dritten Jahr?«, frage ich und nehme noch einen Happen Käsekuchen.
»Ja, ich steh vor den Abschlussprüfungen.«
»Oh.« Ich mache ein langes Gesicht. »Dann hast du wahrscheinlich gar keine Zeit für was anderes.«
»Nein«, antwortet er schnell. »Ich hab ein bisschen Zeit. Das wär eine nette Abwechslung.«
»Nachhilfe geben ist für dich Abwechslung?« Ich lache. »Traurig.«
Er lächelt mich schief an. »Wahrscheinlich ist es das. Übrigens, ich bin Will.« Er reicht mir die Hand.
»Ach ja, ich bin Natasha.« Seine Hand ist weich und irgendwie zart, schon wieder so ein Komponistentyp.
»Na denn, hast du jetzt Zeit oder muss ich einen Termin machen oder …« Ich lasse den Satz im Sande verlaufen und hoffe, dass er sofort zur Verfügung steht. Diese Arbeit entwickelt sich zum Albtraum, und da ich Elliots Angebot ja schnöde abgewiesen habe, kann ich unmöglich mit meinem üblichen Mist im Kurs auftauchen.
»Wenn du willst, kann ich jetzt ein bisschen mit dir arbeiten. «
»Wahnsinn!« Ich strahle. »Ich zahl dir, was du willst, ich muss das einfach nur in den Kopf kriegen.«
Will lächelt mich an. »Keine Sorge, ich bin nicht so teuer.«
»Soll ich uns nicht noch Kaffee holen?«, schlage ich vor und greife nach meiner Handtasche. »Und dann kannst du loslegen und mich zum Genie machen.«
Eine Stunde später schicke ich stumme Dankgebete an jeden Gott, der gerade zuhört. Will ist ein absoluter Engel.
»Ich kann gar nicht glauben, dass es so einfach ist.« Ich starre auf die Seiten von Notizen, die ich mir gemacht hab, alle ganz sauber und geordnet und wirklich verständlich. »Warum hab ich das vorher nicht kapiert?«
Will baut mich auf mit einem Lächeln. »Sei doch nicht so gnadenlos mit dir. All diese Bücher stellen die Dinge viel komplizierter dar, als sie in Wirklichkeit sind. Du musst das Ganze nur auf die wesentlichen Argumente reduzieren, dann bist du gut dabei.«
»Ach, komm schon.« Ich verdreh die Augen. »Gib doch zu, dass du ein Superhirn bist und ich ohne dich am Arsch.«
»Natasha, das stimmt doch nicht. Du hattest es doch beinahe allein
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