Ploetzlich Liebe
waren die ganze Nacht im Gemeinschaftsraum des Studentenheims geblieben und hatten uns tief in die alten Sessel gekuschelt. Noch nie hatte ich an meinem Geburtstag so viel Spaß gehabt und zum ersten Mal war mir der Gedanke gekommen, dass wir vielleicht mehr sein könnten als nur Freunde.
Einen Augenblick lang bleibe ich wie erstarrt sitzen, aber dann dringt eine Stimme zu mir durch.
»He, was ist los?«
Ich blinzele. Carla steht in meiner Tür
»Macht dir hoffentlich nichts aus, aber es war offen.« Sie hat Strandklamotten an, Shorts und ein limonengrünes T-Shirt.
Ich nicke langsam, ein Teil von mir ist immer noch drüben in Oxford in diesem Gemeinschaftsraum.
»Herzlichen Glückwunsch!« Carla wirft mir eine schwere Tasche zu. Sie grinst – mit so einem beunruhigenden Glitzern in den Augen.
»Danke«, sage ich langsam und ziehe einen Haufen dunkles Gummi aus dem Beutel. Ratlos schaue ich sie an.
»Das ist ein Neoprenanzug, Doofnuss!« Carla nimmt ihn mir weg und schüttelt ihn, damit die Form zu erkennen ist.
»Öh, danke?« Mein Blick geht zurück zum Monitor. Zurück zu Sebastians Nachricht.
»Wir gehen surfen. Also, du gehst. Ich guck nur zu. Und lach mich schlapp.« Carla klappt meinen Laptop zu und dreht meinen Stuhl herum, bis ich ihr ins Gesicht sehe. »Das ist dein Geschenk. Schließlich kannst du kein echtes California Girl sein, bevor du dich nicht in die Wellen gestürzt hast.«
»Aber, ich hab noch nie …«
Sie fällt mir ins Wort. »Und deshalb gibt mein Freund Nick dir Unterricht. Komm, los geht’s.«
Carla sammelt meine Strandsachen zusammen und schleppt mich zu ihrem Auto. Wir treffen uns mit ihrem Freund an
einem tollen Surfstrand weiter unten an der Küste, ich lass sie also den ganzen Weg auf dem Freeway reden, ihre Stimme beruhigt mich, und während ich den Kopf an das kühle Fenster lehne, versuche ich meine kalifornische Gelassenheit zurückzugewinnen. Einkaufsstraßen und trockenes Gestrüpp sausen vorbei und ich denke darüber nach, welchen Weg Sebastian gewählt hat, um mit mir Kontakt aufzunehmen. MySpace. Etwas besser als ein Pinnwandeintrag bei Facebook, aber weit unter einer E-Mail. Oder – der Himmel bewahre – einem echten Brief.
Hab ich denn nicht mal eine verdammte E-Mail verdient?
»Okay, raus damit.«
Ruckartig komme ich zurück in die Gegenwart und stelle fest, dass wir vor einer ausgedehnten Fläche von goldenem Sand parken. Das Wasser streckt sich schön blau bis zum Horizont und ich kann schon andere Surfer im Flachen herumhüpfen sehen.
Carla stellt das Radio ab und mustert mich besorgt. »Das ist der Jahrestag deiner Geburt, und du sitzt hier und guckst, als wäre dein Hund gestorben.« Sie runzelt die Stirn. »Ist er doch nicht … oder?«
»Was?«
»Dein Hund. Gestorben. Okay, offenbar nicht.« Sie bindet ihr Haar mit einem neonblauen Band zusammen. »Aber irgendwas stimmt nicht, hab ich recht?«
Ich steige aus und fange an, mir den Neoprenanzug überzuziehen, aber sie fixiert mich weiterhin mit diesem besorgten Blick. »Mein Ex«, gebe ich schließlich zu. »Hat gemailt. Heute. Nein, warte«, korrigiere ich mich schnell mit einem
schiefen Lächeln. »Er hat mir auf MySpace eine Nachricht zukommen lassen.«
»Aua«, sagt Carla. »Und du stehst noch auf ihn?«
»Nein!«, sag ich schnell. »Das ist es ja, tu ich nicht.« Ich zerre heftiger am Anzug, der nicht über die Schenkel rutschen will.
»Arschloch«, befindet Carla und setzt die Sonnenbrille auf.
»Nein …«
»Arschloch«, insistiert sie, dann nimmt sie sich meiner fuchtelnden Gliedmaßen an und zieht mir den Anzug über die Schultern. »Ernsthaft, das ist typisch. In dem Augenblick, in dem man über jemanden weg ist, wird irgendwie weltweit so eine Art Sirene ausgelöst: ›Achtung: Sie ist glücklich. Warnstufe Rot!«, und zack – er meldet sich wieder.«
Bei dieser Vorstellung bringe ich ein Lächeln zustande. »Wie bei den Fledermäusen.«
»Genau. Vergiss es«, kommandiert sie. »Heute geht es nur darum, Spaß zu haben – keine Grübeleien über deinen blöden, egoistischen Ex.«
»Zu Befehl!« Ich salutiere vor ihr.
»Recht so.« Sie richtet mir den Reißverschluss, dann tritt sie einen Schritt zurück und betrachtet mich stolz. »So, du bist bereit.«
Für etwas, das bei Chillern und Strandgammlern so beliebt ist, erfordert Surfen wirklich eine Menge Einsatz. Nachdem ich gefühlte Stunden damit verbracht habe, am Strand in aufrechte Position zu springen, nimmt
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