Ploetzlich Liebe
Sie aufgrund der Vorfälle zu einem anderen Urteil kommen.«
»Welche Vorfälle?« Wieder zieht sie die Augenbrauen hoch, als wollte sie mich herausfordern. Mir wird klar, dass ich nicht mehr länger um das Thema herumtänzeln kann.
»Mit mir.« Ich atme tief durch und sehe ihr mitten ins Gesicht »Das Video und der Artikel in der Zeitung. Ich muss wissen, dass Ihre Entscheidung nicht davon beeinflusst worden ist. Denn das darf nicht sein.« Ich beuge mich vor und gebe jedem Wort Gewicht. »Alles an unserer Präsentation ist wahr, die Mädchen hier brauchen dieses Center. Es geht ums Prinzip.« Ihre Lippen zucken, ich seufze also. »Ja, ich weiß. Wahrscheinlich denken Sie, ich hätte keinen Schimmer von Prinzipien – und dass ist okay. Aber was Sie alle nicht zu begreifen scheinen, ist, dass dies hier das wirkliche Leben ist. Die Mädchen hier sind an der Uni, sie sind volljährig, sie werden Sex haben, sie werden vergewaltigt. Und die
Schließung des Gesundheitscenters wird daran nichts ändern – es fehlen dann lediglich die nötigen Mittel, um mit all dem umzugehen.«
Ich stehe auf. »Das ist alles, was ich sagen wollte. Vielen Dank für Ihre Zeit dann.«
Ich bin schon fast an der Tür, als ich ihre überdeutliche Stimme hinter mir höre. »Wir werden die Mittel weiterhin bereitstellen.«
»Was?« Ich drehe mich wieder um.
»Das Center. Morgen geben wir die Entscheidung bekannt. « Dr. Aldridge nickt leicht. »Ich weiß es zu schätzen, dass Sie mich aufgesucht haben.« Sie zögert. »Mir scheint, Professor Elliot hat sich in Ihnen geirrt.«
»Elliot?«, wiederhole ich.
Ein Lächeln umspielt ihre Lippen. »Sie hat mit mir geredet, wissen Sie. Nach der Sitzung. Hat mir nahegelegt, die Handlungsweise einer … nun ja, darauf müssen wir nicht eingehen«, korrigiert sie sich. »Aber ich sehe, dass sie Sie nicht richtig eingeschätzt hat.«
Wieder entsteht eine Pause, und ich frag mich, was Elliot wohl über mich gesagt hat.
»Ich war eine der Ersten, wissen Sie«, sagt Dr. Aldrige noch.
Ich weiß nicht, wovon sie redet, und das sieht sie mir an.
»Eine der ersten Frauen in Oxford, die in die echten Colleges aufgenommen wurden.« Ihre Augen bekommen einen ganz neuen Glanz. »Ach, reingelassen hatten sie uns ja schon vorher, aber nur, wenn wir in den neuen Frauencolleges blieben. Sie hielten es für das Ende der Institution, da waren
sie sich alle einig, denn Mädchen hätten weder den Charakter noch die nötige Intelligenz.« Und ich schwöre, dabei verziehen sich ihre Lippen zu einem leicht süffisanten Grinsen. »Ich nehme an, wir haben das widerlegt.«
»Wir?«, wiederhole ich langsam.
»Sie absolvieren hier ein Auslandssemester? Waren Sie nicht im vorletzten Studienjahr?« Ich nicke. Dr. Aldrige zieht eine Schublade auf. »Vielleicht erwägen Sie ja, zu uns zurückzukommen. Wir bieten Sommerkurse und sogar Magisterabschlüsse an. Ich unterrichte nicht mehr viel, aber ich bin mir sicher, ich könnte die Zeit finden, Sie zu betreuen.«
Mit offenem Mund gehe ich zurück zu ihrem Schreibtisch und nehme die Formulare, die sie mir reicht. »Etwas zum Thema Feminismus und Medien bietet sich da vielleicht an.« Dann zwinkert sie mir zu, so schnell, dass ich schon denke, ich hätte es mir eingebildet.
»Ich … Danke«, hauche ich und halte die Seiten ganz fest. Sie nickt wieder kurz und steht auf.
»So, ich habe jetzt wirklich noch andere Termine.«
Und es ist vorbei, einfach so.
Den Rest des Tages packe ich meine Sachen wie in Trance. Das Gesundheitscenter ist gerettet und ich habe so etwas wie eine Einladung, einen Magisterabschluss zu machen. In Oxford. Die Vorstellung tanzt in meinem Kopf herum wie eine Art Versprechen. Als es beinahe schon Zeit ist, Holly zu einem Abschiedsdrink in der Bar zu treffen, wird mir klar, dass ich noch einen Besuch vor mir habe, ehe ich hier fertig bin.
Das Licht aus Professor Elliots Arbeitszimmer dringt unter der Tür hindurch auf den Gang, also klopfe ich kurz und trete ein. Sie sitzt mit einem Stapel Arbeiten am Schreibtisch und ihre Gesichtszüge werden ziemlich stramm, als ich reinkomme.
»Sie haben Ihr Tutorium versäumt«, sagt sie eisig.
»Ich weiß«, antworte ich ruhig. Sie mag ja denken, dass ich nichts tauge, aber ich weiß jetzt, dass ihre Meinung nicht maßgeblich ist. »Ich hab mir gedacht, ich könnte gut auf einen weiteren Angriff auf mich und meine schrecklichen moralischen Werte verzichten.«
Sie kneift die Augen zusammen. »Und was kann
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