Ploetzlich Liebe
einen Essay, dessen Fragestellung lautet: »Ist die Unterwerfung unter die von Männern diktierten sexuellen Maßstäbe überhaupt vereinbar mit feministischen Werten?« Ich werde nicht zulassen, dass sie mich noch einmal fertigmacht, deshalb stecke ich ernsthaft viel Lesezeit in mein Bestreben, dies zu der besten Arbeit zu machen, die ich bisher abgeliefert habe. Und aus diesem Grund sitze ich nach neun Uhr an einem Mittwoch-Abend wieder bei Borders auf meinem Sessel, mit dem iPod in den Ohren und einem dreifachen Macchiato an meiner Seite.
Trotz des fetzigen Soundtracks geht es nicht recht voran. Die Leseliste ist voll von Büchern wie dem von Elliot, in denen Mädchen abgeurteilt werden, die herumschlafen und
die feministische Sache untergraben. Doch je mehr ich lese, desto klarer wird mir, dass in Elliots These und dem, was Carrie und die Mädchen sagen, eine Lücke klafft. Sie mögen ja recht haben, wenn sie diese ganze »Raunch Culture« irgendwie für anrüchig halten, das Strippen und den Softporn, aber über eines reden sie gar nicht: Lust. Es ist so, als wäre ihre Sicht der Welt total neutral, ohne was Sexuelles, so, als hätten sie nie tief aus dem Bauch heraus dieses Ziehen gespürt oder sich danach gesehnt, einen anderen Körper zu spüren, der sich heftig an sie drängt.
Klar, vielleicht hab ich in der Hinsicht Fehler gemacht, aber jedenfalls hab ich was gemacht, statt mich einfach nur dem Gefühl zu ergeben, dass es sündig und falsch ist. Und ist das nicht gut? Die mit ihrer blöden Hochnäsigkeit … Man muss sich doch nicht wundern, wenn meine Freundinnen zu Hause nicht das geringste Interesse für den Feminismus aufbringen, solange Leute wie Carrie auf uns herabsehen, als wären wir nicht so viel wert wie sie. Wenn die aufhören würden mit ihrer verdammten Verurteilung, dann würden wir vielleicht irgendwann begreifen, dass es nicht einfach nur darum geht, sich ein für alle Male zu entscheiden, ob man nun Plakate schwenken oder als Mutprobe mit fünf Typen pro Nacht herummachen will.
Ich weiß, das mag nicht hochwissenschaftlich sein, aber dahinterzukommen, dass Carrie und Co. nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen haben, gibt mir das Gefühl, stark zu sein. Und ich hab mehr Material für den Essay.
Tief in meine Notizen vergraben, merke ich, dass da jemand steht und auf mich runterguckt. Zuerst ignoriere ich
das, denke, dass es nur jemand auf meinen gemütlichen Sessel abgesehen hat, aber als er sich nicht von der Stelle rührt, schaue ich schließlich auf.
Es ist Will.
Wieder spüre ich diese Klinge in meiner Brust. Er steht unbeholfen herum, mit dem gestreiften Schal um den Hals, das Haar fällt ihm in die Augen wie immer. Langsam stöpsele ich meine Kopfhörer aus.
»Können wir reden?«
Seine Stimme ist leise und unsicher, aber schon ihr Klang versetzt mich wieder zurück in diesen Waschraum im Club und zu all den schrecklichen Sachen, die er gesagt hat. Ich schlucke.
»Will ich wirklich hören, was du zu sagen hast?« Ich verschränke die Arme und versuche ihn wütend anzugucken.
Er lässt die Schultern hängen. »Ich will wirklich nur …«
»Du redest also wieder mit mir?«
»Bitte.« Er sieht mir in die Augen und sein Blick ist verzweifelt genug, um mich zu erweichen.
»Na gut. Rede.«
»Hier?« Er sieht sich um. Die Ecke ist voll besetzt, ein dicker alter Mann mit Brille liest Zeitung und auf meiner anderen Seite holt eine Frau mit hagerem Gesicht heimlich Kekse aus ihrer Tasche und nippt an einer Tasse Tee. Mir ist egal, was die hören.
»Das ist alles, was du bekommst.«
Will geht auf den Stuhl neben mir zu, stolpert an einem niedrigen Tisch und den Bücherstapeln vorbei, die überall herumliegen. Ich rühr keinen Finger, um ihm zu helfen. Die
Wut macht mich ganz starr, aber ich kann mich nicht gegen den Wunsch wehren, er möge etwas sagen, das alles wieder in Ordnung bringt.
»Und?«, sage ich, als er sich gesetzt hat. Mein Buch liegt noch immer auf meinem Schoß, wann immer es mir in den Kram passt, könnte ich ihn ignorieren, soll das heißen. Ich klammere mich dran fest, um zu verbergen, dass meine Hände zittern wie verrückt.
Will schluckt. Nervös spielt er mit der Manschette seiner Jacke herum. »Es tut mir leid« sagt er schließlich. »Und … äh … was ich gesagt hab, war nicht so gemeint. Es tut mir leid.« Er schaut mich an und ich sehe, dass er es ernst meint. Er weiß, dass er im Unrecht ist, er bedauert es – und das ist alles, was ich hören
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