Plötzlich Royal
Queen. Doch denken Sie daran, Ihre verfassungsgemäße Aufgabe ist es nicht, ein politisches Programm zu fahren, sondern für – sagen wir – drei Viertel der Bevölkerung ein respektiertes Staatsoberhaupt zu sein“, setzte Cramer unsere Unterhaltung fort.
Ich überlegte bei der Fahrt auf der vierspurigen Schnellstraße, als wir an weiteren Windsor-Kulturhinweisen vorbeifuhren, ob ich einen Spruch abgeben sollte wie: „Also kein königlicher Wagen beim CSD?“ Doch das wäre sicher deplatziert gewesen. Es war klar, dass ich keine Reden halten konnte, die eher in einen Wahlkampf gepasst hätten. Die Monarchie lebte vom Vorleben eines nachahmenswerten Beispiels. Und bereits das Beispiel eines offen schwulen Monarchen war ja für manche ein zu politisches Signal.
Die Gebäude wurden höher, wir hatten wohl den Stadtkern erreicht.
„Was würden Sie mir empfehlen, wie ich auftreten soll, ohne ein Schauspieler zu werden, der nur die Rolle des Königs spielt, aber in Wahrheit ein ganz anderer Mensch ist?“, fragte ich den Premier.
„Glaubwürdigkeit ist sehr wichtig, da stimme ich Ihnen zu. Für Sie und die beiden anderen modernen Paare Ihrer Generation würde das folgende Image passen: Sie sind zwar nicht mehr derart streng auf Protokolle achtende Royals, aber sich für Menschenrechte und soziale Projekte einsetzende sympathische junge Leute.“
„Also der nette Punk von nebenan, der der Oma die Einkaufstasche trägt?“
„In etwa!“ Erstmals während unseres Gespräches hob Cramer ein wenig die Mundwinkel. „Bedenken Sie aber“, wandte er ein, „dass Jet-Set-Eskapaden wie beispielsweise Prince Williams Helikopterlandung in Kates Garten nicht gut ankommen. Andererseits wird vom Monarchen auch Glanz und Gloria erwartet. Ein Balanceakt, sicher, der den etablierten Royals auch nicht immer gelang.“
Wir passierten einen Eingang zur weitläufigen Parkanlage um Windsor Castle. Auf dem Platz gleich dahinter standen Fahrzeuge der Armee; eine Wache in Kampfuniform nahm Haltung an, als wir links auf den Long Walk einbogen.
„Im Grunde mag ich Ihre jugendliche energiegeladene Art. Die Monarchie muss aber nun zur Ruhe kommen, sonst verpufft die Wirkung der beiden Märchenhochzeiten im nächsten Frühjahr. Denken Sie auch an die Schweiz, die auf dem internationalen Parkett viel erreicht ohne spektakuläre medienwirksame Auftritte.“
Der Union Jack, auf Halbmast über dem Castle wehend, wurde gerade durch die königliche Standarte ersetzt, als wir uns über den Long Walk der Schlossanlage näherten. Seit der Woche nach Prinzessin Dianas Tod wagte niemand mehr, in Trauer den Fahnenmast für die königliche Standarte leer zu lassen.
„Dürfte ich auch einen Vorschlag machen?“, nahm ich das Gespräch wieder auf. „Ich möchte gerne das Victoria Memorial in ein Queen-Elisabeth-II.-Denkmal umgestalten, das auch ein Mahnmal für das Attentat integriert. Der Name Victoria steht ja auch für Homophobie und Frauenentrechtung sowie für koloniale Arroganz, Ausbeutung und Willkür. Das sind alles Dinge, auf die wir mehr als hundert Jahre später mit gemischten Gefühlen zurückblicken und vielleicht nicht mehr an so prominenter Stelle glorifizieren sollten.“
Ein Posten der Household Guards bei einer Sperre hundert Meter vor dem Südflügel nahm zackig Haltung an. Ein Sicherheitsbereich aus Bauzäunen war errichtet worden, damit sich niemand unkontrolliert dem Schloss nähern konnte.
„Formulieren Sie eine Ausschreibung für das Denkmal und lassen Sie mir diese zukommen“, ging Cramer auf meinen Vorschlag ein. „Gewissen Leuten im Oberhaus, die dank Ihrem Vater jüngst zu Geld gekommen sind, werde ich nahelegen, die Finanzierung zu übernehmen. Was übrigens diese Interviewgutscheine angeht, werden wir Jack Kern klarmachen, dass er damit eine große Verantwortung übernommen hat und wir eine Skandalisierung im Boulevardblattstil nicht akzeptieren werden. Das Wetter soll am Nachmittag aufklaren, Majestät“, fügte er hinzu, als wir auf dem Long Walk durch das Tor auf den Innenhof von Windsor Castle fuhren. Seine Erwähnung des Wetters war wohl das Zeichen dafür, dass ab jetzt eine Schweigepflicht in Bezug auf den Inhalt unseres Gesprächs galt.
Jetzt hätte ich gerne die Hilfe eines Psychologischen Dienstes in Anspruch genommen, doch das würde wohl nie möglich sein. Ich musste künftig ohne direkte Hilfe versuchen, mit den Ereignissen und dem Geheimwissen klarzukommen.
Die Queen hätte von mir erwartet,
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