Ploetzlich Shakespeare
Rosa.»
Eloquenz war nicht gerade seine Stärke. Dafür war es Spontaneität. Entschlossen nahm er mich in die Arme, zog mich zu sich ... und ... was soll ich sagen ... ich war betrunken ... es war heiß und schwül... und ich bin doch auch nur eine Frau.
Axel küsste mich wild, aber das passte zu einem Typen, der aussah wie der Schauspieler, der im Kino darstellte. Während mein Gewissen noch letzte Versuche machte, eine Warnung zu formulieren, jubilierte meine Libido. Im Chor mit meinem geschundenen Selbstbewusstsein, das sich durch das Interesse dieses attraktiven Mannes aufgewertet fühlte. Schade eigentlich, dass Jan auf die spontane Idee gekommen war, mich von der Feier abzuholen, da ein Gewitter angesagt war und er wusste, dass ich Angst davor hatte. Er war so ein lieber, fürsorglicher Mensch.
Als er Axel und mich beim Knutschen erwischte, fragte er geschockt: «Rosa... was machst du denn da?»
Axel antwortete: «Nach was sieht es denn aus?» Feinfühligkeit war auch nicht seine Stärke.
Ich aber starrte nur in Jans entsetztes Gesicht. Ich hätte ihm in diesem Moment sagen sollen, dass ich das aus Minderwertigkeitskomplexen heraus getan hatte, dass die Ablehnung seiner Freunde und seiner Familie mich fertigmachte ... aber stattdessen stammelte ich: «Ich, ähem... hatte da was im Mund, und er wollte mir helfen...»
Jan kämpfte mit den Tränen: Die Frau, zu der er all die Jahre trotz aller Widerstände gehalten hatte - knutschte fremd. Und damit war bewiesen, dass alle recht hatten: Ich war es nicht wert, seine Julia zu sein. Für Jan brach in diesem Moment eine Welt zusammen. Genauer gesagt: unsere gemeinsame Welt. Und ich hatte auf den Selbstzerstörungsknopf gedrückt.
Ich stellte das Ramazzottiglas vor Holgi auf dem Tisch ab und wollte nach dieser Erinnerung lieber gleich aus der Flasche trinken.
«Da gibt es aber auch etwas, was du hast und Olivia nicht...», hob Holgi im freundlichen Tonfall an. «Ich will es nicht hören.» «Du...»
«Ich hab den Eindruck, du bist es, der nicht hören will!», motzte ich. Er sollte endlich aufhören, in meinen Wunden zu pulen, man konnte es mit der Ehrlichkeit unter Freunden auch übertreiben.
«Du hast mehr Herz als sie, Rosa!»
Ich blickte völlig erstaunt zu dem aufmunternd lächelnden Holgi.
«Und du hast jede Menge Temperament», bekräftigte er anerkennend. «Richtig viel Pfeffer im Hintern.»
«Der ist ja auch groß genug für eine ganze Pfefferplantage», grinste ich.
«Und du hast Humor. Und wegen alldem bist du auch eine viel tollere Frau als Olivia.»
Diese Aussage von Holgi wärmte mein Herz mehr, als jeder Ramazzotti es hätte tun können. Das war das Schöne, wenn man einen Freund hatte, der immer ehrlich war. Er war auch im Lob aufrichtig.
Ich blickte nochmal auf das Foto der Hochzeitseinladung und fragte mich, ob Jan nicht womöglich doch noch etwas für mich empfand, insgeheim vielleicht immer noch dachte, ich wäre die tollere Frau als Olivia. Schließlich hatte er mich ja nur verlassen, weil ich ihm das Herz gebrochen hatte. Vielleicht sollte ich nochmal um ihn kämpfen, einfach schnurstracks zu ihm in seine Zahnarztpraxis gehen und ihn daran erinnern, dass wir beide einmal dachten, wir wären füreinander bestimmt. Ihm vorschlagen, dass wir es vielleicht nochmal versuchen sollten und er der blöden Olivia sagen könnte, dass sie den Stock in ihrem Hintern alleine in ihrem guten Stall spazieren führen konnte... und während ich das so dachte, schenkte ich mir nach.
Drei Ramazzotti später war ich auf dem Weg zum Zahnarzt.
Ich wollte Jan zurückerobern. Wie die Heldinnen in den Hollywoodfilmen.
Wenn schon Klischee, dann richtig!
2
Als Holgi merkte, dass ich zu Jan gehen wollte, folgte er mir zur Tür meiner kleinen Mietwohnung und sagte dabei Dinge wie «Auweia», «Herrjemine» und «Du, ich kenn da einen wirklich sehr guten Psychologen».
Ich klärte ihn auf, dass ich ein Klischee war und die Klischee-Heldinnen in den Hollywoodfilmen auch immer damit Erfolg hatten, wenn sie in der letzten Sekunde um Verzeihung baten und ihre Liebe gestanden. Meistens machten sie das direkt vor dem Traualtar, und da die Hochzeit erst übermorgen stattfinden sollte, war ich vergleichsweise früh dran.
«Aber», so gab Holgi zu bedenken, «diese Frauen haben alle bis zum Finale eine Entwicklung durchgemacht und ihren Charakter verändert. Das Einzige, was sich bei dir in all den Jahren verändert hat, ist die Figur.»
Das
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