Ploetzlich verliebt
Uhr nach ihm stellen könnte. Sicher litt er nicht an irgendeiner Zwangsneurose, wo er zu einer bestimmten Zeit etwas Bestimmtes tun musste. Jeden Dienstag um soundsoviel Uhr ein Manga kaufen beispielsweise. Oder, so wie ich, ständig in einem Buchladen vorbeischauen, in der Hoffnung, dass sich jemand ganz Bestimmtes dort ein neues Manga zulegte.
Hmmm â¦
Im Laden sah ich sofort, was los war. Meine Mutter war blass und trug eine Sonnenbrille, an einem grauen Herbsttag. Oh-oh. Das konnte nur eines bedeuten, nämlich dass aus der Sache mit ihr und ihrem Martin-oder-Mark-oder-Marius nichts geworden war und sie sich die letzten Stunden die Augen aus dem Kopf geheult hatte. So lief das immer.
Ich küsste sie auf die Wangen und tat so, als ob das mit der Sonnenbrille das Normalste der Welt wäre.
»Was machst du denn hier?«, fragte sie und zog die Augenbrauen dermaÃen in die Höhe, dass sie sogar über dem Rand der riesigen Sonnenbrille auftauchten. »Du warst doch vorhin erst da.«
»Und jetzt bin ich eben wieder da. Opa macht heute sein berühmtes Tandoori-Hühnchen, da wollte ich dich abholen.«
Kein Henri im Laden, nur ein älterer Mann, der im hintersten Teil ein sehr dickes Buch durchblätterte.
»Das ist lieb von dir. Ich sage nur Eva hinten im Lager Bescheid, dass ich weg bin, dann können wir los. Eva kann abschlieÃen.« Sie verschwand in einem Hinterzimmer.
Und so kam es, dass ich allein hinter der Kasse stand, als Henri hereinkam. Wie im Film. In einem Western etwa. Der Held (Henri) stieà die Schwingtür zum Saloon auf, sein Mantel wehte im Wind, er hatte den Cowboyhut tief ins Gesicht gezogen. Dann stapfte er mit spitzen Stiefeln auf die Theke zu. Die Wirtin (ich) lieà ihre Rüschenröcke schwingen und beugte sich so vor, dass er einen Blick in ihr tiefes Dekolleté werfen konnte. Wortlos knallte sie ihm einen Whisky vor die Nase, er trank ihn in einem Zug aus, sah sie gebannt an, nahm ihre Hand und zog sie aus dem Saloon. Dann ritten sie gemeinsam in den Sonnenuntergang.
»Hallo Suse.«
Ich erwachte aus meinem Tagtraum. »Hallo Henri.«
»Ich habe gehofft, dass du heute hier arbeitest.« Er kam näher und die Art und Weise, wie er sich so an der Kassentheke abstützte und mir tief in die Augen sah, erinnerte nun doch verblüffend an meine Wildwest-Fantasie. Sicher, das Dekolleté und der Whisky fehlten, aber sonst ⦠»Ich wollte dir nämlich unbedingt sagen, dass du recht hattest.«
»Natürlich hatte ich recht. Womit?«, fragte ich lang gezogen, weil ich gerade nicht wusste, was er meinte.
»Miyu ist eine geniale Mangaka.«
Mangaka, Mangaka, dachte ich fieberhaft, was ist denn das jetzt schon wieder? Ich wäre schneller draufgekommen, wenn er mich nicht so mit seinen grauseiden schimmernden Wolkenaugen angesehen hätte. Ach so, das waren die Manga-Zeichner. Oh Mann. Akute Gehirnzersetzung. »Freut mich«, sagte ich.
»Ich möchte den zweiten Band, bitte.« Er lieà mich noch immer keine Sekunde aus den Augen. Und ich hätte am liebsten angefangen, zu pfeifen oder peinlich in die Hände zu klatschen. Denn: Es gibt zweiundfünfzig Ausgaben von Shini! Zwei-und-fünfzig!
Wenn er die alle im Fantasia kaufte, würde er locker die nächsten vier Monate oder so immer wieder hier auftauchen. Hervorragend.
Ich kam hinter der Kasse hervor, und auch wenn ich keine Rüschenröcke schwingen konnte, so trug ich doch ganz zufällig ein rotes Shiftkleid, hellblaue Stiefel und eine eisblaue Beanie. Unschlagbar stylisch.
Ich konnte spüren, dass Henri derselben Ansicht war, denn er stieà ein leises »Wow« aus.
Ich reichte ihm Shini 2 . Henri räusperte sich. »Wollen wir vielleicht mal zusammen ins Kino gehen? Ich hab gehört, nächste Woche ist lange Kinonacht im Metro, vielleicht zeigen die ja auch ein paar gute Animes«, sagte er.
Innerlich vollführte ich ein kleines Tänzchen. Zum Glück nur innerlich, denn das wäre wohl auch ohne Rüschenröcke keine gute Idee gewesen. Ich meine, hey! Henri bat mich um ein Date! Und zwar mit MIR!
Es musste an dem Adrenalin gelegen haben (oder am Tanzen in Gedanken), dass sich plötzlich meine FüÃe verhedderten und ich der Länge nach direkt vor das Regal mit den Shini -Bänden hinknallte.
Aua. Und: Oh Gott, wie peinlich!
Mir wurde überall heiÃ, was auch nicht besser wurde, als
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