Ploetzlich verliebt

kletterte. »Wer ist weg?«
    Â»Mein Ring!«
    Ich starrte sie entgeistert an. »Was soll das heißen, weg?«
    Â»Gone!«, sagte Marli verzweifelt. »Missing! Weg halt!«
    Â»Du hast ihn verloren?«, fragte Luna.
    Â»Ja«, sagte Marli. »Nein.« Und schließlich: »Vielleicht.« Sie rieb sich mit den Händen übers Gesicht, dann fuhr sie fort: »Keine Ahnung. Jedenfalls ist er weg.«
    Â»Und wie lange schon?«, fragte ich.
    Â»Woher soll ich das denn wissen? Mir ist es vorhin erst aufgefallen und dann habe ich euch sofort gesimst.«
    Â»Okay, ganz langsam. Der Reihe nach.« Ich sah sie beschwörend an. »Versuch, dich zu erinnern, wann du ihn zuletzt gesehen hast.«
    Marli konzentrierte sich so sehr, dass eine steile Falte zwischen ihren Augenbrauen entstand. »Also, ich war vor dem Essen noch eine Runde rennen. Als ich losging, hatte ich ihn noch, das weiß ich, weil ich vorher ein frisches Tapeband drumgewickelt habe.«
    Â»Gut«, sagte ich. »Und als du nach Hause kamst?«
    Sie schloss die Augen, während sie sich zu erinnern versuchte. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß es nicht. Vor dem Abendessen habe ich noch geduscht und es könnte sein, dass ich ihn vorher abgezogen habe. Mist, ich weiß es echt nicht mehr. Jedenfalls beim Abendessen dann ist es mir aufgefallen.«
    Â»Wo hast du überall gesucht?«, fragte Luna.
    Â»Ich hab erst mein ganzes Zimmer auf den Kopf gestellt, dann das Bad. Und das Wohnzimmer. Er ist weg.« Tränen füllten ihre Augen. »Was sollen wir denn jetzt tun?«, flüsterte sie.
    Â»Okay.« Ich zog das Klebeband von meinem Finger und kniff die Augen fest zusammen. »Ich versuche mal herauszufinden, wann du ihn verloren hast. Hey, stellt euch hinter mich, für den Fall, dass mir wieder schwindlig wird.«
    Marli und Luna hielten mich an der Schulter fest, ich schloss die Augen und fragte flüsternd. »Ich möchte wissen, was Marli gemacht hat, seit wir nach Hause gegangen sind.«
    Und dann wurde mir auch schon eiskalt und ich tauchte in die letzten Stunden von Marlis Leben. Ich sah, wie sie Hausaufgaben machte, das war nicht besonders spannend. Ich beobachtete, wie sie sich vorm Laufen ein neues Tapeband um den Finger wickelte, sich dann dehnte und streckte – und davonflitzte. Im Schnelldurchlauf sah ich sie über Bänke, Hecken und Mülleimer springen … danach, unter der Dusche, konnte ich förmlich ihr Grapefuit-Kokos-Duschgel riechen, als Marli das Badezimmer in einem Dampfbad verwandelte. Vor lauter Nebelschwaden hatte ich jedoch leider keine Chance, auch nur einen Blick auf ihren Finger zu erhaschen. Sosehr ich mich auch anstrengte: Den genauen Zeitpunkt, wann sie den Ring verloren hatte, konnte ich nicht feststellen, weil es mir nur ab und zu gelang, ihre Hand genau zu sehen. Und manchmal gar nicht. So eine Reise in die Vergangenheit ist ja nicht wie eine Fahrradtour, wo man einfach absteigt, wenn man Lust hat, sich ausführlich umzusehen. Im Gegenteil, mir kommt es immer so vor, als würde da jemand anders die Reiseleitung haben.
    Enttäuscht öffnete ich die Augen wieder. »Funktioniert leider nicht. Ich schätze, wir müssen auf ganz altmodische Art nachforschen.«
    Â»Wie meinst du das?«, fragte Luna.
    Ich straffte die Schultern. »Marli, kannst du Taschenlampen besorgen?«
    Â»Ja, aber …«
    Â»Du willst doch nicht etwa mitten in der Nacht …«, setzte Luna an.
    Â»Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig. Wir müssen im Park suchen. Vielleicht hast du ihn beim Rennen verloren. Wir werden deinen Weg Schritt für Schritt nachgehen«, verkündete ich mit fester Stimme, obwohl mir wirklich nicht ganz wohl dabei war, in der Dunkelheit im Park herumzuspazieren.
    Marli flitzte in ihre Wohnung, wenige Minuten später kam sie mit drei Taschenlampen zurück. »Zum Glück ist meine Tante noch mal kurz weg, dann fragt sie zumindest nicht, wohin ich unterwegs bin. Echt, in der letzten Zeit ist sie streng wie noch nie. Seit wir hier sind, quetscht sie mich dauernd aus, wohin, mit wem und bis wann ich unterwegs bin. An-stren-gend. Wir haben also nicht viel Zeit«, rief sie atemlos.
    Ich nahm ihr die rote Taschenlampe aus der Hand, die passte hervorragend zu meinem Kleid. Die anderen beiden waren schwarz und somit natürlich für Nachtspaziergänge im Park eine viel bessere Tarnung.
    Bis