P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
wenn du etwas nicht verstehst – wobei ich allerdings in zwei Wochen abreise. Mein neuer Verlag ruft.«
Ich erfuhr von Fernando, dass die Bilder verkauft wurden, um weitere Investitionen zu tätigen. Es gab offenbar drei oder vier Alívio-ähnliche Projekte, eines in São Paulo selbst. »Unter Großstadtbedingungen sieht das alles noch mal ganz anders aus«, erklärte Lea, die Agronomin, »da kann man sich nicht so ausbreiten wie hier, und die landwirtschaftliche Basis ist dann hundert Kilometer entfernt.«
»Ihr expandiert?«
»Alívio hat die ideale Größe erreicht, es soll nicht mehr wachsen. Andererseits verfügen wir über Finanzen und Kapazitäten, die wir einsetzen müssen«, sagte Fernando, »wir sind verpflichtet zu wachsen. Die neuen Projekte erhalten von uns eine Anschubfinanzierung, werden dann aber selbstständig. Wir funktionieren wie eine Bank, kombiniert mit einem Know-how-Institut.«
»Wir sind eine gute Kraft«, unterstrich Lea, die sich offensichtlich als Teil des Unternehmens betrachtete.
»Es wird in nächster Zeit viele gute Kräfte brauchen«, plapperte ich, immer noch misstrauisch.
»Es gibt auch viele«, sagte Augusta, »wir pflegen Kontakte in der ganzen Welt, sogar bis nach China.«
»Also seid ihr optimistisch.«
»Das Wort hasse ich«, meinte Aldo, ein jüngerer Mann mit schwarzem Haarschopf und randloser Brille, »man macht, was man kann, und schaut dann, was dabei herauskommt. Man braucht keine Hoffnung, wenn man die Pflicht erfüllt.«
»Die makroökonomischen Kräfte könnten euch aber doch einen Strich durch die Rechnung machen«, gab ich zu bedenken.
Aldo nickte. »Klar, es gibt oligarchische Machtverfilzungen, die lieber die ganze Welt ins Chaos stürzen, als dass sie ihre Position verlieren. Ich glaube aber nicht an eine kapitalistische Weltverschwörung oder etwas in der Art. Was uns bedroht, ist einfach die Banalität alter Interessen. Das sieht man jetzt sehr gut in den USA, wo eine Kollektion von Vollidioten Obama demontieren will. Sogar intelligente Kapitalisten wie Buffett, Soros oder Gates machen da nicht mehr mit.«
»Ich mach jetzt Bücher zum Thema Übergangsstrategien«, meldete sich Thomas.
»Aber erwähne uns bitte nicht«, bat ihn Augusta, »wir wollen keines dieser immer wieder zitierten guten Beispiele werden, wie Findhorn in Schottland, Plum Village in der Dordogne usw.«
»Es geht momentan eher um die makroökonomischen Veränderungen, die Paul erwähnt hat«, führte Thomas aus.
»Aber irgendwie müssen die guten Ideen doch auf den Boden kommen«, wandte ich ein.
»Die kommen schon auf den Boden. Die theoretische Diskussion darf jedoch nicht vernachlässigt werden. Wenn Maulwürfe blind wühlen, dann stoßen sie plötzlich auf ein Betonfundament, und ihre Mühe ist umsonst.«
»Ganz blind sind wir ja nun hier nicht«, murmelte Fernando, der einer der Gründer von Alívio war, ein alter Gefährte von Roberto.
»Das wollte ich nicht sagen. Ich stelle nur fest, dass heutesogar in Kreisen der Ökonomen gewisse Fragen gestellt werden. Die wichtigste ist wohl die: Kann es eine Art von stationärem Kapitalismus – oder wie man das dann noch nennen will – geben? Ist Wachstum Schicksal? Nach vierzig Jahren Wachstumskritik klingt die Frage altmodisch, aber in gewissen Kreisen ist eine funktionierende Wirtschaft ohne Wachstum immer noch unter Denkverbot.«
»Die Leute denken vieles, sagen aber wenig«, warf Fernando ein.
»Ich denke, nicht nur viele Leute, sondern das ganze System hat eine akute Erschöpfungsdepression«, erklärte Cornelia, die an einem ETH-Institut arbeitete, das sich mit Energieforschung befasste, »die Ressourcen sind bald erschöpft – Öl, Metalle, Boden, Wasser – die Arbeiter sind erschöpft, die Expansionsmöglichkeiten sind erschöpft …«
»Nur die chinesischen Arbeiter arbeiten munter weiter«, warf ich ein.
»Ach was! Meinst du Arbeiter, die sich aus den Fenstern stürzen, um Selbstmord zu begehen, seien nicht erschöpft? Das chinesische Wunder ist nichts anderes als eine Depression, die sich von der Küste landeinwärts frisst. Bald sind alle durch, schon jetzt klagen sie über Arbeitskräftemangel!«
»Es gibt da diesen südkoreanischen Professor in Bielefeld, Byung-Chul Han«, mischte sich Thomas ein, »der die These der Müdigkeitsgesellschaft aufgestellt hat. Sie besagt, dass wir von einer immunologischen Phase zu einer Erschöpfungsphase gelangt sind. In der immunologischen Ära ging es um Abwehr und
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