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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star
Autoren: Martin Cruz Smith
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hereinkam wie ein rüstiger Waldbewohner, der sich an einem frischen Morgen aufgemacht hat, um in der Taiga Bäume zu fällen. Er trug weder Jacke noch Schwimmweste, nur zwei Pullover übereinander, dicke Handschuhe, Stiefel, Mütze und Sonnenbrille, die er jetzt in die Stirn geschoben hatte. Er war nicht einmal außer Atem.
    »Sie machen’s einem so leicht.« Karp sagte es fast bedauernd.
    »Auf unserem Schiff wäre es ein bißchen schwierig geworden, Sie loszuwerden, aber hier draußen werden Sie ganz einfach verschwinden, und kein Mensch erfährt, daß ich überhaupt von Bord gegangen bin.«
    Die Axt stammte vermutlich aus dem großen Arsenal zur Feuerbekämpfung vom Bootsdeck der Polar Star, und Arkadi hegte den Verdacht, daß Karp sie zu einem praktischen Zweck mitgebracht hatte - nämlich um ein Loch ins Eis zu schlagen und eine Leiche darin verschwinden zu lassen. Wie üblich hatte der Plan des Trawlmasters auch diesmal den Vorzug, schlicht und unkompliziert zu sein. Von draußen hörte man die Hammerschläge, mit denen an Deck der Kampf gegen das Eis fortgesetzt wurde. Dem Lärm nach hätte man glauben können, man befände sich in einer Gießerei und nicht auf einem Schiff. Die Amerikaner hatten offenbar noch nicht bemerkt, daß ungebetene Gäste an Bord gekommen waren.
    »Warum sind Sie hier?« fragte Karp.
    »Ich suche Spuren von Sina.«
    Arkadi entsann sich der Leuchtpistole in seiner Tasche; das gäbe ein tolles Schauspiel in dieser engen Kabine. Doch als er die Hand hob, schlug Karp sie mit der Axt beiseite.
    »Noch eine Untersuchung?«
    »Nein, das mache ich auf eigene Faust. Niemand weiß davon. Übrigens kümmert es außer mir auch keinen.« Sein Handgelenk, das die Axt getroffen hatte, war taub. Ungefähr so mußte es sein, wenn man von einem Wolf in die Enge getrieben wurde.
    »Jedesmal, wenn einer dran glauben muß, beschuldigen Sie mich«, sagte Karp.
    »Nein, diesmal nicht. Sie waren überrascht, als Sina im Netz nach oben kam. Sie hätten sie mitsamt dem Fisch in eine Ladeluke kippen und später unbemerkt loswerden können. Statt dessen haben Sie sie rausgeschnitten. Nein, Sie wußten nicht Bescheid. Noch gestern abend auf der Rampe wußten Sie nicht, was wirklich gespielt wird.«
    Wie beiläufig stupste die Axt Arkadis Hand abermals von der Jackentasche weg. Es war nicht fair, gar so hilflos sterben zu müssen. Er spürte, wie Panik in ihm hochkroch und seinen Denkapparat lahmzulegen drohte.
    »Sie wollen doch nur Zeit schinden«, sagte Karp.
    Arkadi war dazu viel zu verschreckt gewesen. »Wollen Sie denn nicht wissen, wer Sina umgebracht hat?« fragte er. Jetzt spielte er auf Zeit.
    »Warum sollte mich das interessieren?«
    »Sie war doch Ihr Mädchen«, sagte Arkadi. »Damals in Moskau muß ich tatsächlich noch um etliches schlauer gewesen sein. Lange Zeit konnte ich mir nicht mal erklären, wie Sina an den Posten auf der Polar Star gekommen ist. Dabei war es so einfach: durch Slawa natürlich. Aber wer hat ihn Sina gezeigt, als er mit seinem Boot in die Bucht hinaussegelte? Wer war vorher schon zusammen mit Slawa auf See gewesen?«
    »Eine ganze Mannschaft.«
    »Ja, aber nur drei davon sind auf die Polar Star gewechselt: Martschuk, Pawel und Sie. Sie waren es, der Slawa vom Pier aus beobachtet hat.«
    »Papas Liebling auf seinem Spielzeugboot. Ohne die Beziehungen seines Vaters wäre der Kerl niemals auf ein richtiges Schiff gekommen.«
    »Sina hat Slawa die hehre Unschuld vorgespielt. Darum nahm sie ihn auch nie mit in Ihre Wohnung.«
    Karp setzte die Sonnenbrille ab. »Sie wissen, daß es meine Wohnung war?«
    »Ich wußte, der Mann, dem sie gehörte, war jemand mit viel Geld und einem Waffentick, jemand, der außerdem verwegen genug war, sich aufs Drogengeschäft einzulassen.« Arkadi sprach jetzt sehr rasch. Wie herrlich doch ein kräftiger Adrenalinstoß die Fähigkeit, zwei und zwei zusammenzuzählen, unterstützen konnte. »Der einzige auf der Polar Star, auf den diese Beschreibung zutrifft, sind Sie. Geld hat Sina im Goldenen Horn reichlich verdient, also konnte nur etwas, das mehr wert war als Rubel, sie verlocken, auf der Polar Star anzuheuern. An Bord habt ihr euch voneinander ferngehalten, ja, aber doch nicht so strikt, wie Sie behaupten. Sie haben gesagt, Sie hätten Sina nur bei der Essensausgabe gesehen, aber das stimmt nicht. Jedesmal, wenn die Eagle ein Netz anlieferte, saht ihr euch am Heck. Noch bevor sie irgendeinen der Trawlfischer kennengelernt hatte, erschien sie
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