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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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hinabzustürzen und aus den Speigatten zu fluten. Eiszapfen, die vom Schiff herabhingen, waren unten in der Eisdecke verankert. Coletti stand draußen vor dem Ruderhaus und versuchte mit einer Lötlampe die Fenster aufzutauen. Die Flamme beleuchtete sein blasses Gesicht. Das Licht, das aus dem Innenraum der Brücke drang, war schwach wie das einer Kerze, und doch sah Arkadi eine Gestalt im Kapitänssessel sitzen. Ridley hämmerte Eis von den Sprossen am Funkmast. Die Dipolantennen an der Spitze des Masts waren verschwunden und die Peitschenantenne um neunzig Grad heruntergebogen. Eisklumpen hingen daran wie zerrissenes Takelwerk. Mit dieser defekten Ausrüstung würde Morgan wohl kaum etwas hören können außer atmosphärischen Störungen. Der Nebel verlagerte sich und entzog die Eagle wieder seinen Blicken. Die Männer an Deck hatten ihn nicht gesehen. Arkadi steuerte auf das noch unsichtbare Heck zu.
    Wieviel Vorsprung hatte er vor Martschuk? Zehn Schritt? Zwanzig? Das Hämmern würde auch dem Kapitän die Richtung weisen. Arkadi stolperte fast über die Heckrampe, ehe er sie sah. An dem Ladebaum über ihm hing ein aufgerolltes Netz; schwarze und orangefarbene Plastikstreifen hatte das Eis zu einem glanzlosen Schleier zusammengesponnen. Der Nebel trieb jetzt so heftig über das Schiff, daß er einen gespenstischen Strudel hinter sich herzog, einen finsteren Tunnel, an dessen Ende Martschuk wieder sichtbar wurde. Doch jetzt konnte der Kapitän ihn nicht mehr zurückbeordern. Er hatte es geschafft.
    Als die Gestalt seines Verfolgers sich aus dem Nebel löste, sah Arkadi, daß der vermeintliche Bart in Wirklichkeit ein Pullover war, den der Mann sich bis über den Mund hochgezogen hatte. Im Näherkommen zerrte Karp den Pullover herunter. Wie Arkadi trug auch er eine dunkle Brille, aber mit seinen Filzstiefeln war er besser ausgerüstet als sein Opfer. Er hielt eine Axt in der Hand.
    Blitzschnell erwog Arkadi seine Möglichkeiten. Ein Sprint nach rechts zum Nordpol? Oder die Langstrecke links nach Hawaii?
    Die Rampe der Eagle war zwar niedrig, dafür aber spiegelglatt, und er robbte auf dem Bauch hinauf. An Deck waren Fische und Krabben ins Eis zementiert. Eiszapfen umkränzten das Schutzdeck. Ridley war mittlerweile bis zur Radarantenne vorgedrungen, die eine kompakte Eishaube trug. Der Atem des Fischers hatte sich in Rauhreif verwandelt, der wie weißer Schaum auf seinem langen Haar und dem Bart lagerte. Mit der Sorgfalt eines Juweliers, der an einer Kostbarkeit arbeitet, begann er, die Antenne freizuklopfen. Arkadi schätzte die Entfernung von der Rampe bis zum Ruderhaus auf fünfzehn Meter; am ungeschütztesten würde er auf den ersten fünf Metern sein, ehe er sich unter das Schutzdeck ducken konnte, das die Seitenfront abschirmte.
    Langsam, aber stetig arbeitete Karp sich heran. Die Axt wie einen Reserveflügel in der Hand haltend, glich er einem übers Eis schwebenden Urvogel.
    Arkadi rannte die wenigen Schritte bis in den Schatten des Schutzdecks: Zwar konnte er die Brücke nun nicht mehr sehen, aber umgekehrt konnte auch er nicht von der Brücke gesehen werden. Hinter ihm kam Karp mit dem sicheren Tritt des erfahrenen Deckmanns die Rampe herauf.
    Arkadi schlüpfte ins Ruderhaus und gelangte durch einen Umkleideraum in die Kombüse der Eagle. Er nahm die Brille ab, um sich im fahlen Licht, das durch die beiden eisverkrusteten Bullaugen hereinsickerte, zurechtzufinden; in der Düsternis kam er sich vor wie auf einem U-Boot. Eine gepolsterte Bank umgab einen Tisch mit rutschfesten Untersetzern. Auf dem Herd lehnten Töpfe an der Schlingerleiste. Als er auf den Gang hinaustrat, sah er vor sich zwei Kabinentüren und eine Treppe, die aufwärts zur Brücke, beziehungsweise hinunter in den Maschinenraum führte.
    Die Kabine an Backbord hatte zwei Kojen, von denen offenbar nur die untere benutzt wurde. Der Schrank hatte nicht die russischen Ausmaße, die es ermöglicht hätten, eine Leiche darin zu verstecken. Am Schott war ein leerer Gewehrständer befestigt. Er tastete unter der Matratze nach einer Handfeuerwaffe, einem Messer, irgendwas. Unter dem fleckigen Kissen lag ein Pornoheft. Am Boden, unter der Koje, fand er eine Kiste mit schmutziger Wäsche, weitere Pornohefte sowie Fachzeitschriften über Waffen und Überlebenstechnik, ein Bündel Hundert-Dollar-Noten in einem Strumpf versteckt, einen abgewetzten Schleifstein, eine Stange Zigaretten, eine leere Patronenschachtel.
    »Colettis Kabine«, sagte Karp, als er

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