Polar Star
die Kombüse durchquerten, hörte Arkadi die Hämmer über sich mit voller Wucht dreinschlagen, als versuchten die Amerikaner, sich den Weg in die Heimat freizumeißeln. Er spürte die auf seinen Rücken zielende Axt und merkte, wie Schweißperlen seine Wirbelsäule hinunterrannen.
Karp stieß ihn in die Steuerbordkabine. Hier war eine saubere Decke über die Koje gebreitet. Auf einem Bord standen Bücher über Philosophie, Elektronik und Dieselantriebe. Am Schott hingen ein Pistolenhalfter und das Bild eines Mannes, der dem Betrachter die Zunge herausstreckte: Einstein.
»Hier wohnt vermutlich Ridley«, sagte Arkadi.
»Sie ist also von der Polar Star verschwunden - und was dann?« verlangte Karp zu wissen.
»Nun, rekapitulieren wir.« Arkadi sprach rascher. »Sie haben ihr Slawa gezeigt, als der mit seinem Boot draußen war.« In Ridleys Bettkasten lagen ordentlich gefaltete Kleidungsstücke, Ledermanschetten und silberne Ohrstecker, Fotos von ihm und zwei Frauen beim Skifahren, ein Schnappschuß, der ihn und ein Mädchen zeigte, wie sie sich mit Weingläsern zuprosteten, hinduistische Gebetbücher, Spielkarten, ein elektronisches Schachspiel, eine Minnie-Mouse-Anstecknadel. Arkadi nahm das Kartenspiel heraus und fächerte es auf dem Bett aus.
»Ich wollte Sina bei mir auf dem Schiff haben, und Bukowski hatte die nötigen Verbindungen. Was weiter?«
»Sie hatte die Angewohnheit, Männer auf ihren Schiffen zu besuchen, und für eine so ausgezeichnete Schwimmerin wie Sina muß es ein leichtes gewesen sein, die paar Stöße bis zur Eagle zurückzulegen, während der Trawler an der Polar Star festgemacht hatte. Sie ist einfach von der Heckrampe ins Wasser gesprungen, Madame Malsewas Badekappe auf dem Kopf, Schuhe und trockene Kleider in einem schwarzen Plastikbeutel am Arm festgebunden. Selbst wenn jemand oben an der Reling gestanden hätte, hätte er sie vermutlich nicht sehen können.«
»Aber warum hätte sie das tun sollen?«
»Das war eben so ihre Art. Sie wanderte von einem Mann zum nächsten und von Schiff zu Schiff.«
»Nein, das ist keine Antwort auf meine Frage«, sagte Karp. »Sie wäre kein solches Risiko eingegangen, bloß um irgendeinen Kerl zu besuchen. Also, Genosse Chefinspektor, warum könnte sie’s getan haben?«
»Genau das frage ich mich auch.«
»Ja, und?«
»Ich weiß es nicht.«
Karp benutzte die Axt wie einen verlängerten Arm, um Arkadi gegen die Wand zu stoßen. »In einem, Renko, haben Sie sich verrechnet. Sina hätte mich nie verlassen.«
»Sie hat immerhin mit anderen geschlafen.«
»Um sie zu benutzen, ja. Bedeutet haben diese Männer ihr nichts. Aber die Amerikaner waren unsere Partner, das war was anderes.«
»Jedenfalls ist sie hiergewesen.«
»Also, wenn ich mich so umschaue, dann sehe ich kein Versteck, wie Sie’s beschrieben haben. Keine Spur von ihr.« Karp warf einen Blick auf den offenen Bettkasten. »Falls Sie gehofft haben, Sie würden hier eine Waffe finden, vergessen Sie’s. Auf diesem Schiff tragen alle ihre Waffen ständig bei sich.«
»Wir müssen weitersuchen«, sagte Arkadi. Er erinnerte sich, wie er im Bunker gegen den Trawlmaster gekämpft hatte. Der letzte Platz, den er sich gewünscht hätte, um einer Axt ausweiche zu müssen, war die enge Kabine eines Fangbootes.
Karps Aufmerksamkeit richtete sich auf die Spielkarten, die Arkadi auf der Koje ausgebreitet hatte. Die Axt immer noch erhoben, sah er die Karten einzeln durch. »Rühren Sie sich nicht vom Fleck!« warnte er, stellte die Axt ab, nahm die Karten und blätterte sie gewissenhaft durch. Als er fertig war, schob er sie wieder zusammen und legte das Spiel zurück in den Bettkasten. Seine kleinen Augen brannten in einem bleichen, von Schmerz verzerrten Gesicht. Einen Moment lang glaubte Arkadi fast, Karp würde ohnmächtig zu Boden sinken. Doch der Trawlmaster hob seine Axt wieder auf und sagte mit fester Stimme: »Wir fangen im Maschinenraum an.«
Als sie die Tür zur Kombüse öffneten, begann über ihnen eine neue stürmische Attacke gegen das Eis. Der Trawlmaster sah nur flüchtig nach oben, als lausche er einem schweren Regenguß.
Die beiden Dieselmotoren der Eagle erzitterten auf ihren Stahlsockeln, eine Sechs-Zylinder-Haupt- und eine Vier-Zylinder-Hilfsmaschine. Dies war Ridleys Domäne, der warme Innenraum des Bootes unter Deck, wo man sich auskennen mußte, um sicheren Fußes zwischen Vorlegewellen und Flaschenzügen, Generatoren und hydraulischen Pumpen, Radventilen und
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