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Polarfieber (German Edition)

Polarfieber (German Edition)

Titel: Polarfieber (German Edition)
Autoren: Kim Henry
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Für mich war er viel mehr als nur ein Kamerad, aber du hast nie auch nur in Erwägung gezogen, dass er so sein könnte. Oder ich. Nein, denn das verschweigt man. Man schweigt und hofft auf die Zeit danach. Du hast ihn erschossen und nie dafür bezahlt.“
    In seinem Kopf dröhnte Leere. Dylan. Er hatte keine Ahnung gehabt. Ihm wurde schwindlig. Er hatte nichts, woran er sich festhalten konnte. Die Hunde tobten. Im nächsten Augenblick kippte der Schlitten auf die Seite, gezogen von dem Inuit, der es geschafft hatte, sich heran zu robben. Jay brüllte auf und stieß Kaya von sich, richtete den Revolver auf Alignak, der sich hinter dem Schlitten halbwegs in Sicherheit gebracht hatte. Er verriss die Waffe, einer der Hunde jaulte auf und brach getroffen zusammen.
    „Kaya! Hinter den Schlitten!“ Silas hörte seine Stimme brechen. Es war wie Zeitlupe. Jay, den Revolver weit vor sich gestreckt, mit Tränen in den Augen, nach Kaya suchend. Die Frau, die Silas liebte. Er durfte sie nicht verlieren. Aber Jay stand zu weit entfernt von ihm. Er konnte den Schuss nicht verhindern.
    Er warf sich auf Kaya, schlang die Arme um sie und prallte mit ihr auf das Eis. Ihr Atem schlug gegen seine Lippen, als sie den Kopf drehte. Er hörte den Schuss wie aus weiter Ferne, erhob sich auf die Knie, Kaya in den Armen.
    „Ich bin unverletzt“, sagte sie, ihre Lippen an seinem Ohr. Ihre Lippen. Ihr Duft, der ihn streifte. Ich halte dich, Kaya. Er sah an sich hinab, sah das Rinnsal, das eine dampfende Furche in den Schnee fräste. Tiefrot.
    „Kaya …“
    „Er hat mich nicht getroffen, Silas.“
    Dann kam der Schmerz. Zuerst ein feines Ziehen. Dann ein Reißen, direkt über seinem Knie, wo er die Kugel, die Kaya gegolten hatte, aufgefangen hatte. Das Bein brach unter ihm weg. Dann war ein Schatten über ihm. Als er den Kopf hob, sah er für den Bruchteil einer Sekunde Jays Gesicht, die Wut und den Schmerz, der in den dunkelgrauen Augen brannte.
    „Das ist für Dylan!“
    Ein Fuß, der in einem schweren Stiefel steckte, traf ihn. Silas hatte das Gefühl, als könnte sein Wangenknochen dem Aufprall nicht standhalten. Er hörte es knirschen, hörte Kayas Schrei und verspürte eine irrationale Dankbarkeit, als Jay seinen Arm packte und ihn übers Eis schleuderte, weg von Kaya, weg vom Schlitten, zwischen die Hunde, die mit aufgebrachtem Heulen und Kläffen den Tod ihres Kameraden bejaulten.
    Jay stürzte sich auf ihn. Silas kämpfte sich auf die Knie, doch ehe er auf die Füße kam, hatte Jay ihn erreicht und trat das gesunde Knie unter ihm weg. Er fühlte das dicke Fell eines der Hunde unter seinen Händen, als er stürzte, wurde gebissen. Jay brüllte auf, denn natürlich verschonten die Hunde auch ihn nicht. Das waren keine Kuscheltiere. Das waren Grönlandhunde, näher am Wolf als am Haushund. Verdammt. Silas Greve, der vom Hunderudel zerfetzt wurde. Das konnte nicht passieren.
     
    *

    Das Eis kochte, wurde zu einer brodelnden, geifernden, Masse, als sich die Hunde auf Silas stürzten. Schock vereiste Kaya. Sie konnte sich nicht rühren. Sekunden wurden zu Ewigkeiten, während sie dastand, ungläubig erstarrt, in einem Albtraum. Sie musste Silas helfen! Ein Schemen löste sich aus der Masse. Jeremy, oder Jay, oder wie auch immer dieser Irre hieß, mit dem sie in den letzten Wochen so viel Zeit verbracht hatte. Wenn sie zu Silas ging, würden sich die Hunde auch auf sie stürzen. O Gott. Alignak stöhnte. Leise und doch konnte sie es durch das winselnde Bellen der reißenden Meute hören. Sie zerrten an Silas, stürzten sich auf seinen Kopf, den er mit seinen Händen schützte. Wie an einem Spielzeug zogen sie an ihm, rissen und bissen und feierten mit wildem Kopfschütteln jeden Fetzen seiner Haut, den sie eroberten, wie eine Trophäe. Der Irre lachte. Silas schrie und Alignak keuchte. Und sie – sie schwieg.
    Ein Lichtstrahl in schwarzer Nacht fiel auf die blankpolierte Schaufel. Endlich konnte sie sich bewegen, hatte ein Ziel. Sie hechtete auf den umgestürzten Schlitten zu. Ein kleiner Teil ihres Seins dankte Gott, dass Jeremy so vertieft in das perverse Schauspiel war, dass er nicht auf sie achtete. Fast war sie schon an ihrer Ausrüstung. Fast. Wenn es wenigstens ein Spaten gewesen wäre, anstelle einer Schaufel. So eine lächerliche Waffe im Vergleich zu Jeremys Pistole, Alignaks Gewehr oder den Zähnen der Hunde und doch die einzige Wahl, die ihr blieb, wenn sie nicht weiter herumstehen und zusehen wollte, wie Silas zerfetzt
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