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Polarfieber (German Edition)

Polarfieber (German Edition)

Titel: Polarfieber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Henry
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wurde. Sie griff nach dem Stiel. Und erstarrte. Ein Schuss knallte laut über das Brodeln der Meute.
    Sie drehte sich zu Alignak, der sein Jagdgewehr umklammert hielt, und dann zu Jeremy, der aufgehört hatte zu lachen. Ein Fleck dunkleres Schwarz wuchs mit einem Mal mitten auf seiner Brust. Er wirkte erstaunt. Nein, nicht erstaunt. Glücklich. So unbegreiflich wie alles, was in den letzten Minuten geschehen war, so unbegreiflich war auch das. Dennoch war sie sich sicher. Weil sich alles verlangsamte, obwohl ihr Verstand sie anbrüllte, dass es nur Momente waren. Jeremy griff an seine Brust. Die Knie gaben unter ihm nach. Mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht sank er zusammen.
    Alignak. Kaya wollte den alten Jäger umarmen, der geschossen hatte, während sie nur hatte zittern können, doch genauso dringend wollte sie zu Silas, wollte ihm helfen, wenn es denn noch möglich war. Wollte schreien, dass all das nicht wahr war, und wollte endlich aufhören zu zittern. Doch sie tat es nicht. Stattdessen sah sie auf Alignak, halb aufgerichtet kauernd hinter dem umgestürzten Schlitten, das Gewehr noch immer in der Hand. Seine Lippen hoben sich. Das schwache Abbild eines Lächelns. Sein Gesicht war fleckig. Striemen aus Blut ließen welke Haut zu einer Fratze verkommen. Er blutete stark aus einer Wunde am Hals, und Kaya dachte noch, dass ihr bei all dem Blut, das dem Alten aus der Kehle schoss, übel werden sollte, aber ihr war nicht übel, sondern heiß. Glutheiß vor Wut über die Ungerechtigkeit des Lebens, als die zittrigen Lippen sich abmühten und Worte formten.
    „Jetzt … liegt es … an dir.“
    Wieder jaulte einer der Hunde auf, knurrte ein anderer. Nein, Alignak. Nein, du kannst mich nicht allein lassen. Ich schaffe das nicht. Zehn Hunde, jetzt noch neun, und ein Kind im Bauch. Wie soll ich das denn ohne dich schaffen? Doch sie kam nicht mehr dazu, ihr Flehen auszustoßen, denn noch während der Atem seiner Worte Alignaks Lippen verließ, schlossen sich seine Augen. Das Gewehr glitt aus seiner Hand. Er fiel zurück auf den Schnee, und dann war Kaya allein.
    Es war nicht fair, dass sie nicht trauern durfte. Es war nicht fair, dass sie nicht wusste, was sie machen sollte, und doch griff sie nach der Schaufel und ging zu Silas. Seine Gestalt war kaum noch zu sehen. Zusammengekrümmt lag er unter den Hundeleibern, zuckte nicht einmal mehr, wenn wieder einer die Zähne in seinen Leib schlug. Wenigstens waren es nur noch zwei Hunde, die nicht ablassen wollten. Die anderen hatten aufgegeben, verheddert in ihren Führleinen, oder vielleicht einfach nur erschöpft und desillusioniert von Polyesterfunktionsware, die nicht so schmeckte, wie sie es sich gewünscht hatten, und dem Opfer, das ihnen nichts entgegenzusetzen hatte, außer dem verführerischen Duft von Blut aus einer Wunde am Knie und den aufgerissenen Handgelenken. Sie schrie. Was sie schrie, wusste sie nicht, aber sie schrie und brüllte und trieb mit der Schaufel die Hunde von ihm fort, bis ihre Arme an Kraft verloren und ihre Schultern schmerzten. So sehr, dass sie die Pein in ihrem Herzen zumindest für einen Augenblick vergaß.
    Mit dem letzten bisschen Kraft packte sie Silas unter den Achseln und zerrte ihn weg. Er musste bewusstlos sein, denn er rührte sich nicht, als sie seinen Körper bewegte, obwohl er doch höllische Schmerzen haben musste. Doch daran durfte sie nicht denken. Sie musste ihn wegbringen. Fort aus der Reichweite der Hunde, von dem Blut am Boden. Wenigstens ein paar Schritte fort von Mord und Tod und Irrsinn. Einen Schritt und noch einen. Und vielleicht noch einen letzten, sodass Silas nicht auf Jeremy sehen musste, wenn er aufwachte, diesen Haufen Unrat, der im Schnee lag, und auch nicht auf Alignak, der gestorben war, um ihnen eine Chance zu geben.
    Sie zerrte und zog, ließ sich dann in den Schnee fallen und schob ihre Oberschenkel unter Silas’ Kopf. So sanft wie möglich bettete sie seinen Oberkörper auf ihre Beine, strich mit den Fingern durch sein Haar, das feucht war von Blut und dem Geifer der Hunde.
    „Du Idiot“, flüsterte sie, „Du Idiot. So hab ich mir unser Wiedersehen nicht gewünscht.“
    Immer noch rührte er sich nicht, nur die Muskeln in seiner Wange zuckten ein wenig, während sie ihn streichelte, und der Gedanke, dass er Schmerzen hatte, selbst in seiner Bewusstlosigkeit, wollte ihr das Herz brechen. Sie zwang ihre Finger zur Ruhe, legte sie flach auf die Stelle über seinem Herzen. Erst als eine Träne

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