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Polarfieber (German Edition)

Polarfieber (German Edition)

Titel: Polarfieber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Henry
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er. „Es ist gut.“
    Sie wischte mit einer Hand Blut von seinem Gesicht. „Bleib bei mir, Silas. Halt durch, ja?“
    Wenigstens würde sie nicht neben ihm sterben. Claus, der alte Haudegen, hatte alle verfügbaren Hundeschlittenfahrer zusammengetrommelt. Sie konnten so weit hinter ihm nicht gewesen sein, diese Männer, halb betrunken nach dem Besäufnis im Hotel, und sie brachten Berthelsen mit. Claus würde Kaya dazu bewegen, auf den Schlitten zu steigen und ins Warme zu fahren. Sie war nicht verloren. Er musste sie nicht bitten, ihn allein zu lassen und sich selbst zu retten. Claus würde sie retten, wenn es auch für den leichtsinnigen Hubschrauberpiloten, der mit dem Kopf durch die Wand gehen wollte, nichts mehr zu retten gab.
    „Kaya.“
    Sie bat ihn nicht, seine Kräfte zu schonen. Sie streichelte sein Gesicht, fuhr mit den Fingern die immer gleichen Bahnen entlang, vermied sicher die tiefen Bisse. Hing ihm die Haut in Fetzen von den Wangen?
    „Warum hast du das getan, Silas?“ Sie zog schniefend die Nase hoch. „Warum hast du mich nicht angerufen? Nichts? Ich hatte solche Sehnsucht, aber es war, als ob du niemals da gewesen wärest. Du warst einfach weg. Du hast mir gefehlt. Ich wollte dich in den Armen halten, aber nicht so wie jetzt.“
    Wie sehr er bedauerte, dass er nicht die Arme heben konnte. Wie sehr er bedauerte, dass er all diese Wochen und Monate verschenkt hatte, in denen er an ihrer Seite hätte sein sollen. Wie sehr er bedauerte … „Ich konnte nicht.“
    „Man kann immer. Du wolltest nicht.“
    „Meine Seele ist schwarz, ganz schwarz. Und du … bist wie die Sonne.“ Es kostete so viel Kraft. Kraft, die er nicht hatte. „Du verdienst die Welt zu deinen Füßen. Nicht mich. Ich habe kein Herz, Kaya. Es ist … tot.“ Nein, es war alles andere als tot. Es saugte die letzte Kraft aus seinen Muskeln und Knochen, um ihn am Leben zu halten. Obwohl es sinnlos war. Das verdammte Herz, von dem er geglaubt hatte, dass es im afghanischen Wüstensand verrottet war, gab nicht auf. „Sag meinem … Baby, dass ich sie liebe, ja?“
    „Hör auf. Das sagst du ihr selbst. Hör auf damit, Silas. Es dauert nicht mehr lange. Sie sind gleich da. Ich kann sie schon sehen.“
    Seine Lider wurden schwer. Sein Herz polterte. Es hatte zu viel Kraft, schlief nicht ruhig und still und ergeben in ihm ein, wehrte sich gegen das Unvermeidliche. In hektischen, unregelmäßigen Sprüngen krachte es schmerzvoll gegen seine Rippen, tat ihm noch mehr weh als Kayas Finger.
    „Sie ist … ein Mädchen“, flüsterte er schwach.
    Die Augen fielen ihm zu. In seinen zerstörten Mundwinkeln kitzelte ein Lächeln. Ein Mädchen. Er war absolut sicher. Ein Mädchen mit Kayas Augen. Die Sonne glühte gegen seine Lider. Kaya rüttelte an ihm, schluchzte seinen Namen. Er bekam die Augen nicht mehr auf. Das Herz setzte aus. Immer wieder. Holte neuen Schwung, tat so unsäglich weh. Er spürte nichts anderes mehr, nur dieses Krachen gegen seine schockgefrosteten Rippen. In ihm war kein Blut mehr, das ihn warmhielt. In ihm war gar nichts mehr. Nur der Gedanke an Kaya. Ein schöner Gedanke, um dabei in ewigen Schlaf zu fallen.
    Er würde sie vermissen.
    Er spürte, wie Tränen aus seinem Augenwinkel sickerten, seine Haut kurz wärmten und dann zu eisigen Schlieren wurden. Er hörte Kayas Schluchzen. Und das Knallen einer Peitsche.
     
    *
     
    Kayas Lider wurden schwer. Seit Stunden saß sie auf einem harten Plastikstuhl im Wartebereich des Qaanaaq Hospitals. Ein Hubschrauber war für den Weitertransport nach Upernavik oder gar Nuuk, sollte es sich als notwendig erweisen, angefordert worden. Noch war Silas mit dem neuen Arzt, der sich seinen ersten Arbeitstag in Qaanaaq gewiss anders erträumt hatte, im OP. Sie zählte die Quadrate auf dem Schachbrettlinoleum im Wartezimmer. Vierundzwanzig von der Tür zum Fenster. Dreißig von ihrem Stuhl bis zu dem Wasserspender auf der gegenüberliegenden Seite.
    Wer war Jeremy wirklich gewesen? Ein alter Kamerad von Silas, soviel hatte sie aus den Worten begriffen, die die beiden einander draußen auf dem Fjord zugeschrien hatten. Jay, der Liebhaber von Dylan. Dylan, dessen Name Silas im Fieber im Eis heruntergebetet hatte. Diesmal war es ihr Name gewesen. Kayas Kehle wurde eng. Bitte, lieber Gott, nimm ihn mir nicht. Nicht ihn auch. Es gab so vieles, das sie nicht verstand. Woher hatte Silas von dem Kind gewusst? Warum war er dort draußen plötzlich aufgetaucht? Warum hatte das britische

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