Polarfieber (German Edition)
nur aus den Tagen mit Kaya im Eis kannte. Dasselbe Krachen, mit dem ein Eisberg kalbte. Er packte den Mann, der ihm den Namen des Schoßhündchens verraten hatte, am Kragen.
„Ich brauche einen fahrbaren Untersatz!“, brüllte er ihm ins Gesicht.
„Hä?“ Der Kerl wusste nicht, wie ihm geschah.
„Irgendwas. Kaya ist in Gefahr, hörst du?“ In die vom Alkohol verschleierten Augen zu blicken, raubte ihm die Nerven. Er stieß den Besoffenen von sich. „Hat hier irgendwer einen Snowscooter, den ich mir ausleihen kann?“, schrie er in die Runde.
Jeremy. Mit Kaya und einem ahnungslosen Inuit auf dem Eis des Fjords. Alles ergab plötzlich einen Sinn.
*
Kufenscharren auf festgefrorenem Schnee. Hundehecheln in eisiger Luft. Ihr eigener Atem, der im Mondschein kondensierte. Eine windstille Nacht war es, fast konnte Kaya ihre Begleiter vergessen. Das waren die Momente, für die sie arbeitete, in denen sie das Leben in seiner Rohversion spürte. Der GPS Empfänger an ihrem Gürtel piepste und riss sie aus ihren Gedanken.
„Bald müssen wir da sein.“ Sie rief laut über die Geräusche des Schlittens hinweg und deutete nach links. „Noch etwa einen halben Kilometer, dann dürften wir die größtmögliche Signalstärke erreicht haben.“
Alignak, der vor ihr und Jeremy auf dem Schlitten stand und die Führleinen mit einer Selbstverständlichkeit in der Hand hielt, wie es nur einer konnte, der mit dieser Art des Transports aufgewachsen war, nickte ihr kaum merklich zu. Er hatte sie gehört, pfiff ein Kommando an seinen Leithund und der Schlitten legte sich in eine sanfte Linkskurve. Neben ihr umklammerte Jeremy das seitliche Schlittengeländer. Ein Kichern wollte ihr in die Kehle steigen. Ihre nächtliche Schlittenfahrt war dem Herrn Hobbygeologen dann wohl doch ein Hauch zu viel Abenteuer.
„Bist du reisekrank?“, rief Kaya in Jeremys Richtung.
Sie hätte wetten können, dass der Gesichtsausschnitt, der zwischen Sturmhaube und Windbrille zu sehen war, noch ein wenig grüner wurde. Trotzdem löste er eine Hand vom Griff und gab ihr ein Daumen hoch. „Alles klar. Ich hätte nur nicht gedacht, dass das so … anstrengend ist.“
Sie lachte. „Bald haben wir es geschafft.“ Sie deutete auf den Empfänger. Ein kleiner grüner Punkt näherte sich darauf unaufhaltsam einem größeren, um dessen Kern dünne Ringe pulsierten. Ihr Ziel.
Jeremy runzelte die Stirn. Zumindest glaubte sie, eine solche Regung bei ihm zu erkennen. „Ich kann nichts sehen.“
„Natürlich nicht. Der Sensor ist eingefroren. Wir werden ihn suchen müssen. Warum glaubst du, haben wir all die Beleuchtung dabei?“
Der Hobbygeologe schwieg. Nicht einmal die Schultern zuckte er. Kaya hatte Mühe, den Ärger herunterzuschlucken, der ihr bei seinem Desinteresse in die Kehle stieg. Was machte der Typ bei ihr? Seine Geschichte vom heimlichen Bewunderer ihrer Arbeit nahm sie ihm schon lange nicht mehr ab. Dazu brachte er zu wenig Vorwissen mit, konnte sich selbst die einfachsten Sachverhalte nicht richtig merken. Es war diese Art von Ignoranz, die so viel mehr mit selektiver Wahrnehmung zu tun hatte, als mit fehlender Intelligenz.
Aber was war es dann, das Jeremy in den Norden getrieben hatte? Sie selbst? Beinah musste sie lachen. Klar, weil sie ja so anziehend war, dass beide Männer, denen sie nah gekommen war, Reißaus vor ihr genommen hatten. Andererseits, Jeremy kannte sie ja nicht wirklich. Es stimmte schon. Sie war in den Monaten vor dem Absturz im Fernsehen zu sehen gewesen und im Radio hatte man sie hören können. Erst letztens hatte Jeremy gesagt, wie gut ihm ihre Stimme gefiel. Sie schauderte und es hatte nichts mit der Kälte zu tun. Was, wenn Marc mit seiner Warnung in Thule doch recht hatte? Warum hatte sie nicht schon eher daran gedacht?
Ihr blieb keine Zeit, eine Antwort auf diese Frage zu finden, denn in diesem Moment wurden die Pieps-Intervalle des GPS-Geräts kürzer, bis sie in einen einzigen, schrillen Alarmton endeten. Kaya stellte den Empfänger aus und tippte Alignak auf die Schulter. „Wir sind da.“
Der alte Jäger zog an den Führleinen, stemmte sein Gewicht auf die Bremsen des Schlittens und binnen weniger Atemzüge kam das Gefährt zum Stehen. Kaya stieg ab, dann bedeutete sie Jeremy, ihr zu folgen. Sie löste eine von den starken Polarion PH 50 Lampen aus ihrer Verankerung, reichte sie an Jeremy weiter und nahm sich dann die zweite.
„Und was machen wir jetzt hier?“ Ratlos sah Jeremy in die
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