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Polarfieber (German Edition)

Polarfieber (German Edition)

Titel: Polarfieber (German Edition)
Autoren: Kim Henry
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hinunter zur Siedlung. Von den Feuern am Ufer stiegen dunkle Rauchwolken kerzengerade in den wolkenlosen Himmel.
    „Das sind dann wohl die Frauen?“, fragte Silas unschuldig.
    „Na ja, es sind nicht alle Männer bei Claus.“
    „Nein, Otto zum Beispiel nicht.“
    Das Grinsen zwickte dem Jungen in die Mundwinkel. „Nur die ganz Harten.“
    „Verstehe.“
    „Unten am Ufer sind ein paar Touristen. Die campieren da seit drei Tagen und wollen nicht weg. Claus geht jeden Tag hin und sagt, sie sollen ins Hotel kommen und sich aufwärmen, aber die gehen nicht. Verrückt, was? Die haben Angst, dass sie den Sonnenaufgang verpassen. Als wüssten wir nicht, wann die Sonne wiederkommt.“
    Holger lehnte sich nach vorn. „Wann kommt sie denn wieder?“
    „Sind Sie der neue Zahnarzt?“, fragte der Junge, als hätte Holger ihn nicht gerade etwas gefragt. „Das ist toll, dass Sie jetzt schon da sind, sonst kommt der immer später im Sommer. Ich hab da diesen Backenzahn …“
    „Ich bin kein Zahnarzt, aber ich schau mir den Zahn gern mal an.“
    Der Gedanke, dass er für einen nicht auf Zähne spezialisierten Mediziner das Maul aufreißen sollte, schien den Jungen so sehr zu schockieren, dass er nichts mehr sagte. Die Räder des Jeeps drehten ein paarmal auf dem Eis durch, als es hinaufging in den Hang. Das Hotel war ein ganz normales Haus, dessen Wohnzimmer zu einer Art Bar umgebaut war. Meistens hielt sich niemand dort auf, aber heute drängten sich mindestens zwanzig Kerle um den Küchentresen, der als Theke fungierte. Silas spähte zwischen den breiten, pelzbesetzten Rücken hindurch und entdeckte Claus, der aus einer Flasche kleine Gläser füllte.
    „Silas!“ Claus vergaß nie ein Gesicht. Er stellte die Flasche ab und bahnte sich einen Weg durch die Leiber, um Silas auf die Schulter zu klopfen.
    „Ich bring dir einen Gast.“
    „Jetzt? Heute? Hierher?“ Claus kratzte sich den schütteren Haarschopf.
    „Der neue Arzt. Bis der Wasserspeicher in seinem Haus repariert ist. Geht das? Wäre ungut, den Mann hängen zu lassen.“
    „Na ja, wenn ihm das hier nichts ausmacht.“ Mit einer Handbewegung schloss Claus die trinkselige Runde ein. „Ich meine, die bleiben ja auch nicht ewig.“
    Silas spürte, wie die Männer mit den Schnapsgläsern ihn neugierig musterten. Ein paar von ihnen hatten schon in diversen von ihm gesteuerten Hubschraubern gesessen, aber er hatte nicht das phänomenale Personengedächtnis wie Claus. Der brüllte nach seiner Frau, und die umtriebige Bente kümmerte sich um den etwas verloren mit seinem Koffer in der Tür stehenden Holger Berthelsen.
    „Kann ich dir was zu trinken anbieten?“, fragte Claus und winkte Pickelgesicht, das offenbar auf dasselbe Angebot wartete, davon.
    „Du kannst mir sagen, wo Kaya ist.“
    Ein neuerliches Kratzen am Schädel. Wenn Claus so weitermachte, hatte er bald gar keine Haare mehr auf dem Kopf.
    „Warst du im Labor?“
    „Noch nicht.“
    „Kannst du dir sparen“, knurrte einer der Jäger und kippte seinen Schnaps. „Da issie nämlich nich.“ Zwei weitere schüttelten die Köpfe.
    „Und wo ist sie? Ich muss mit ihr reden.“
    „Die spricht aber nicht mit jedem“, sagte der Erste. „Die spricht nur noch mit ihrem Schoßhündchen.“
    „Mit wem?“
    Der Mann hielt Claus das leere Glas hin. Kein Wort mehr, ehe du wieder vollschenkst, sagten die kleinen schwarzen Augen. Claus kehrte zurück hinter seine Theke und knurrte etwas auf Inuit.
    „Im Süden gibt es für so einen sicher eine technische Bezeichnung“, sagte ein anderer. „Der rennt ihr hinterher wie ein Hund, reißt Türen auf und schleppt ihr die Tasche mit den Messgeräten.“
    Das letzte Wort war ein angestrengtes Lallen. Silas streifte der Gedanke, dass kaum einer von den hier Versammelten den Sonnenaufgang noch erleben würde, ehe er sich ins Delirium gesoffen hatte, aber andererseits war er viel zu alarmiert, als dass ihn dieser Gedanke lange bedrängte. Hatte Kaya Gesellschaft bekommen? Ein Praktikant von ihrer Umweltorganisation etwa? Die Eifersucht schlug ihre Klauen in seinen Nacken. Ein Kerl, der ihr überallhin nachrannte? Der immer an ihrer Seite war? Wirklich immer?
    „Wo finde ich sie?“
    „Sie ist rausgefahren aufs Eis. Mit Alignak. Sind schon eine Weile weg. Der Schoßhund ist bei ihr. Der heißt übrigens Jeremy. Ist ein lausiger Trinker, verträgt gar nichts.“
    Das Geräusch, mit dem die Puzzleteilchen ineinander glitten, war ein röhrendes Krachen, so, wie er es
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