Polaris
oberflächlichen Leser klingt das alles nach einer gründlichen und sorgfältigen Suche, aber die Realität lautet, dass der Bereich des Raums, um den es ging, so groß war, dass er binnen eines Jahres mit den zur Verfügung stehenden Mitteln auf keinen Fall adäquat hatte durchsucht werden können. Tatsächlich waren sie nicht einmal nahe daran gewesen, eine wirklich umfassende Suche durchzuführen. Inzwischen kostete die Suche Geld, und allmählich verlor die Öffentlichkeit das Interesse daran. Am Ende wurden die sieben Opfer einfach abgeschrieben und für tot erklärt.
Solange sich noch irgendjemand zurückerinnern konnte, hatten die Leute geglaubt, die Wildnis jenseits der bekannten Systeme wäre durch eine Art impliziertes Recht, gewissermaßen von Natur aus, menschliches Territorium, auf das wir lediglich Anspruch erheben mussten, wenn wir erst dort waren. Sogar die Entdeckung der Stummen und der immer wieder aufflackernde Konflikt mit ihnen hatte daran nichts ändern können. Aber der Vorfall mit der Polaris hatte den dunklen Raum wirklich düster werden lassen. Wir wurden daran erinnert, dass wir nicht wussten, was da draußen war. Und, um in Ali ben-Kashas unvergesslichen Worten zu sprechen: Plötzlich fragten wir uns, ob wir vielleicht bei irgendjemandem auf dem Speiseplan stehen könnten.
All das war längst vergessen. Es hatte keine weiteren unerklärlichen Verluste gegeben; keines der Schiffe, die immer weiter in das Unbekannte vorgedrungen waren, war dem verdächtigen fremden Wind begegnet, und es hatte keine Hinweise auf ein finsteres Gespenst gegeben. Und die Leute vergaßen.
Alex kam rein, setzte sich neben mich und sah sich die Berichte an, die Jacob uns lieferte. »All diese Mühe«, bemerkte er. »Und sie haben nie irgendetwas gefunden.«
»Kein Härchen.«
»Unfassbar.« Er legte die Stirn in Falten und beugte sich vor. »Chase, sie haben die Polaris untersucht, als sie wieder zurück war. Und sie haben nichts Ungewöhnliches feststellen können. Wenn eine feindliche Macht in das Schiff hätte eindringen wollen, so hätten Captain oder Passagiere sie hereinlassen müssen, richtig? Ich meine, du kannst eine Luftschleuse nicht passieren, wenn die Leute im Inneren des Schiffs das nicht wollen, oder?«
»Na ja«, erwiderte ich. »Man kann die Außenluken nicht wirklich versiegeln. Sollte irgendjemand oder irgendetwas den Rumpf erreichen, kann er oder es sich Zutritt verschaffen. Aber man könnte das problemlos verhindern, wenn man will.«
»Wie?«
»Eine Möglichkeit wäre, die Luftschleuse unter Druck zu setzen. Dann würde sich die äußere Luke unter keinen Umständen öffnen lassen.«
»Gut.«
»Eine andere Möglichkeit wäre, das Schiff zu beschleunigen. Oder abzubremsen. Der Eindringling würde auf jeden Fall einen Abflug machen.«
»Damit also jemand in das Schiff eindringen kann, müssen die Leute an Bord kooperieren, richtig?«
»Zumindest dürfen sie nichts dagegen unternehmen.«
Etliche Minuten saß er einfach nur schweigend da. Jacob spielte gerade einen Bericht des Teams ab, das das Innere der Polaris untersucht hatte, als sie wieder auf Skydeck eingetroffen war. Keine Hinweise darauf, dass die Personen an Bord je in Bedrängnis geraten waren.
Keinerlei Anzeichen für einen Kampf.
Keinerlei Hinweise auf eine überstürzte Abreise.
Kleidung, Kosmetika und andere noch vorhandene Gegenstände vermitteln den Eindruck, dass die Personen bei ihrem Verschwinden nur das bei sich hatten, was sie am Leib trugen.
Die aufgeschlagene Ausgabe von Verlorene Seelen in einer der Kabinen, und ein halb gegessener Apfel im Gemeinschaftsraum deuten daraufhin, dass das Schiff vollkommen überraschend eingenommen wurde. Man nimmt an, dass das Buch aus Bolands Besitz stammt. An einem Handtuch, das im Waschraum gefunden wurde, wurde Klassners DNS entdeckt.
»Ich frage mich, wer die Suche geleitet hat«, sagte Alex.
»Die Vermessung.«
»Ich meine, wer bei der Vermessung.«
»Jess Taliaferro«, antwortete Jacob.
Alex faltete die Hände und schien vollkommen in Gedanken versunken. »Derselbe Kerl, der dann selbst verschwunden ist.«
»Ja. Das ist eine merkwürdige Koinzidenz, nicht wahr?«
»Von ihm haben sie auch keine Spur finden können.«
»Nein. Er hat eines Tages schlicht seinen Arbeitsplatz verlassen, und niemand hat ihn je wieder gesehen.«
»Wann?«, fragte Alex.
»Zweieinhalbjahre nach der Polaris.«
»Was meinst du, ist aus ihm geworden, Chase?«
»Ich habe keine Ahnung.
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