Polaris
Vermutlich Suizid.«
Alex dachte darüber nach. »Wenn es das war, was passiert ist, hatte das dann etwas mit der Polaris zu tun?«
»Überraschen würde mich das nicht. Es war allgemein bekannt, dass Taliaferro wegen der Katastrophe sehr bestürzt war. Es war sein Traum gewesen, eine Gruppe wichtiger Personen loszuschicken, damit sie dem Ereignis beiwohnen und die Forschungsschiffe begleiten konnten. Boland und Klassner hat er persönlich gekannt. Sie hatten beide mal einen Lehrstuhl bei der Weißen Uhr inne, und Taliaferro war Spender und Spendensammler für die Weiße Uhr. «
»Die alte Bevölkerungskontrollgruppe«, sagte Alex.
»Ja.« Ich sagte Jacob, er solle abschalten. Er gehorchte; die Vorhänge öffneten sich, und helles Tageslicht strömte ins Zimmer. »Als die Suchmannschaften nichts finden konnten, bekam Taliaferro nach Auskunft seiner Kollegen bei der Vermessung Depressionen.« Ich konnte mir all das nur zu gut vorstellen: der idealistische Bürokrat, der einen Schiffskommandanten und sechs der gefeiertsten Personen seiner Zeit verloren hatte und nicht erklären konnte, was mit ihnen geschehen war. »Ich habe einiges über ihn gelesen. Nach der Polaris ist er manchmal in den Carimba Canyon gegangen und hat einfach nur dagestanden und sich den Sonnenuntergang angesehen.«
Alex’ Augen hatten sich umwölkt. »Vielleicht ist er in den Melony gesprungen und ins Meer getrieben worden.«
»So könnte es passiert sein.«
»Aber es hat keinen Abschiedsbrief gegeben?«
»Nein. Nichts dergleichen.«
»Chase«, sagte Alex. »Könntest du mir eventuell einen Gefallen tun?«
Georg Kloski hatte der Analytikergruppe angehört, die auf die Polaris nach deren Rückkehr geschickt worden war. Er musste älter sein, als er aussah. Er wäre glatt als Mittvierziger durchgegangen, aber er musste mindestens zweimal so alt sein. »Ich treibe Sport«, entgegnete er, als ich eine Bemerkung über seine Erscheinung machte.
Er war etwa durchschnittlich groß und von ebensolchem Körperbau, leutselig und genoss seinen Ruhestand auf Guillermo Island im Golf. Ich stellte mich vor und erzählte ihm, dass ich Informationen für ein Forschungsprojekt sammele, was immerhin nicht gelogen war, und dann fragte ich ihn, ob ich ihn zum Mittagessen einladen dürfe. Es ist stets sehr bequem, Fragen fernmündlich zu stellen, aber man erfährt im Allgemeinen mehr von den Leuten, wenn man ihnen im Gegenzug einen Tee und ein Steaksandwich offeriert.
Kloski sagte, sicher, er würde niemals ein Essen mit einer schönen Frau ausschlagen. Ich wusste gleich, dass ich den Mann mögen würde. Am nächsten Tag flog ich hin und traf mich mit ihm in einem Strandrestaurant. Ich glaube, es hieß Pelikan. Natürlich gibt es auf Rimway keine Pelikane, aber Georg (wir einigten uns schnell darauf, uns mit Vornamen anzusprechen) erzählte mir, die Eigentümer würden aus Florida stammen. Ob ich wüsste, wo Florida war?
Ich wusste, das war irgendwo auf der Erde, also riet ich Europa, und er sagte, das sei nahe dran.
Er lebte allein. Einige seiner Enkel wohnten auf dem Festland ganz in der Nähe. »Aber nicht zu nahe«, sagte er und zwinkerte mir zu. Sein Haar war dicht und schwarz, von grauen Strähnen durchzogen. Breite Schultern, eine Menge Muskeln, nur eine Andeutung von Körperfett. Nettes Lächeln. Jede Frau im Restaurant schien ihn zu kennen. »Ich war mal Bürgermeister hier«, sagte er zur Erklärung. Aber wir beide wussten, dass da mehr dran war als nur das.
Also saßen wir erst nur ein paar Minuten beisammen, machten uns miteinander bekannt und lauschten dem Kreischen der Seevögel. Das Pelikan lag an einem gepflasterten Gehweg am Strand. Auf der Insel herrschte ein weitaus milderes Klima als in Andiquar. Horden von Leuten in Strandkleidung schlenderten vorüber. Kinder ließen Ballons steigen, und ein paar Leute fuhren in motorisierten Schienenfahrzeugen. Guillermo war sehr beliebt wegen seiner Abenteuertouren, der Drachenflieger, Straßenbahnen, Bootsfahrten und wegen eines berüchtigten Spukhauses. Dies war ein Ort für die Leute, die etwas Herausfordernderes suchten als eine virtuelle Vorstellung, die vielleicht dazu imstande war, die gleiche Wirkung auf den Herzschlag zu erzielen, bei deren Genuss man jedoch immer wusste, dass man tatsächlich nur in einem abgedunkelten Raum saß und keinerlei reale Gefahr bestand – was der ganzen Sache in den Augen mancher Leute die Spannung nahm.
Vom Pelikan aus konnten wir einen Fallschirm
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