Polarsturm
fragenden Blick zu, hob einen Finger und deutete auf die Rohre. Dirk legte den Kopf zurück und sah sich die Rohre an, konnte aber nichts Ungewöhnliches erkennen.
»Was ist?«, flüsterte er.
»Irgendwas mit der Bewegung der Rohre …«, erwiderte sie und starrte darauf. »Ich glaube, das Kohlendioxid wird ins Schiff hineingepumpt.«
Dirk blickte auf die Arme, die sich in einem bestimmten Rhythmus bewegten. Aber man konnte nicht erkennen, in welche Richtung das flüssige Gas strömte. Er schaute seine Schwester an und nickte. Mit ihren intuitiven Eingebungen, die sie ab und zu hatte, lag sie für gewöhnlich ganz richtig, und das genügte ihm, um der Sache auf den Grund zu gehen.
»Meinst du, das hat was zu bedeuten?«, fragte Summer, während sie am Bug emporblickte.
»Schwer zu sagen«, erwiderte Dirk leise. »Aber es wäre doch unsinnig, Kohlendioxid in das Schiff zu pumpen. Vielleicht führt eine Flüssiggaspipeline vom Athabasca hierher.«
»Trevor sagt, es gibt nur eine kleine Pipeline für Öl und CO2.«
»Ist dir aufgefallen, dass das Schiff heute Morgen höher im Wasser lag?«
»Kann ich nicht sagen«, erwiderte Summer. »Aber es müsste jetzt viel höher liegen, wenn es so lange Gas gelöscht hat.«
Dirk blickte am Schiffsrumpf empor. »Ich weiß nicht viel über Flüssiggastanker, aber meiner Meinung nach wird das Gas, das befördert werden soll, vom Kai aus aufs Schiff gepumpt, während das Schiff seinerseits Pumpen an Bord hat, mit denen die Ladung gelöscht wird. Dem Geräusch nach ist die Pumpstation am Kai in Betrieb.«
»Die könnte das Gas auch zur vorübergehenden Lagerung in unterirdische Tanks pumpen.«
»Stimmt. Aber es ist so laut, dass man nicht hören kann, ob die Schiffspumpen laufen.« Mit ein paar Flossenschlägen entfernte er sich vom Kai, dann hob er den Kopf und blickte sich um. Der Kai und die sichtbaren Teile des Schiffes waren nach wie vor menschenleer. Dirk streifte Pressluftflasche und Bleigurt ab und hängte sie an eine Klampe.
»Du willst doch nicht etwa an Bord gehen?«, flüsterte Summer in einem Tonfall, der klang, als hielte sie ihren Bruder für verrückt.
Dirks weiße Zähne leuchteten auf, als er grinste. »Wie sollen wir das Rätsel denn sonst lösen, mein lieber Watson?«
Summer wusste, dass es sie den letzten Nerv kosten würde, wenn sie im Wasser auf ihren Bruder wartete, daher hängte sie ihre Tauchausrüstung widerwillig neben seine und kletterte auf den Kai. »Danke, Sherlock«, murmelte sie vor sich hin, als sie ihm lautlos zum Schiff folgte.
19
Die Bewegung war auf dem Monitor kaum zu erkennen. Eigentlich hätte sie der zu den
Aleuten
gehörende Wachmann übersehen müssen. Doch bei einem zufälligen Blick auf die Reihe der Monitore bemerkte er auf einer der Videoaufnahmen, dass sich das Wasser am Heck des Tankers leicht kräuselte. Also schaltete der Wachmann die unter dem Dach angebrachte Kamera sofort auf Zoom um und erfasste etwas Dunkles im Wasser, kurz bevor es untertauchte. Höchstwahrscheinlich eine verirrte Robbe, vermutete der Wachmann, aber das bot ihm eine gute Ausrede, um eine kurze Pause von dem öden Dienst in der Wachschutzstation einzulegen.
Er griff zum Funkgerät und rief die Wache an Bord der
Chichuyaa
an.
»Hier ist der Werkschutz. Die Videokamera hat an eurem Heck einen Gegenstand im Wasser erfasst. Ich gehe mit dem Motorboot mal längsseits und schau mir die Sache an.«
»Roger, Werkschutz«, antwortete eine verschlafen klingende Stimme. »Wir lassen die Lichter für euch an.«
Der Wachmann schlüpfte in eine Jacke und nahm eine Taschenlampe mit, dann blieb er vor dem Waffenschrank stehen. Er musterte ein schwarzes H&K-Sturmgewehr, dann überlegte er es sich aber anders und schob stattdessen eine automatische Glock in sein Holster.
»Um diese Zeit sollte man lieber nicht auf Robben schießen«, murmelte er vor sich hin, als er zum Pier ging.
Der Flüssiggastanker gab eine Vielzahl metallischer Laute von sich, als das gekühlte Gas durch die Rohre strömte. Dirk ging davon aus, dass das Beladen oder Löschen nur von ein paar Arbeitern überwacht wurde, die sich entweder im Inneren des Schiffes oder im Pumpenhaus aufhielten. Am Kai wirkte es ziemlich schummrig, aber das Schiff war in ein helles Licht getaucht, sodass sich ihnen dort kaum Deckung bot. Dirk nahm jedoch an, dass sie nur ein, zwei Minuten brauchen würden, um sich an Bord zu stehlen und festzustellen, ob die Schiffspumpen in Betrieb waren.
Sie schlichen den
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