Pole Position: Sebastian Vettel - sein Weg an die Spitze (German Edition)
es sanfter angehen. Die Fahrweisen sind individuell wie Handschriften. Die Zeit, um sich einzustimmen, ist begrenzt. Freitags zweimal neunzig Minuten und Samstagvormittag noch einmal sechzig. Danach steht schon die Qualifikation an, das Ausscheidungsfahren, in dem es auf jede Runde ankommt und die Reihenfolge für die Startaufstellung ermittelt wird. Der Schnellste steht vorne. Wer gewinnen will, sollte sich deshalb beeilen. Der Aufwand für die Technik ist gewaltig. Ein konkurrenzfähiger Simulator ist erst für einen zweistelligen Millionenbetrag zu haben. Kein Wunder, dass Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo klagt: »Für unseren mussten wir ein Gebäude bauen, so hoch, wie sie in New York stehen.« Dank Vermessungslaser, Satellitentechnik und Hochleistungsprozessoren sind die Simulatoren der Top-Teams heute so gut, dass sich in ihnen nicht nur mit den Einstellungen der Rennwagen experimentieren lässt.
Auch die Fahrer können sich auf die Strecke einstimmen. Die Kopie der Realität ist so exakt, dass sie sich Zeichen und Markierungen am Wegesrand einprägen können, um sich die Orte zu merken, an denen sie auf die Bremse treten und wo sie lenken müssen. Die Formel 1 ist so schnell, dass das Fahren nur noch zum Teil ein bewusster Prozess ist. Zu viel zu denken, kann mitunter sogar ein Nachteil sein. Jackie Stewart, der eine angeborene Lese-und Schreibschwäche hat und nicht einmal den Text von »God Save the Queen« behalten kann, fühlte sich den Konkurrenten in dem Punkt überlegen – bei ihm warfen keine Worte Anker im Kopf, sondern Eindrücke.
Erkundungstour
Die Arbeit an der Strecke beginnt am Donnerstag. Jeder Fahrer hat seine Rituale. Und zu den Ritualen von Sebastian Vettel gehört es, einmal um die Strecke zu laufen. Nicht allein. Nicht zum Vergnügen. Nicht als Spaziergang. Meist begleiten ihn sein Physiotherapeut, sein Renningenieur und ein Ingenieur des Motorenlieferanten. Sebastian Vettel mag über das Ritual nicht groß reden. Warum er es pflegt? »Weil es gesund ist«, hat er auf die Frage einmal geantwortet. Pokerface, bloß keinen unnötigen Blick in die eigenen Karten zulassen: Das ist Teil der Strategie. Bei der Runde geht es darum, sich noch einmal zu vergewissern. Stimmen die Eindrücke? Wurden Randsteine geändert? Teile der Strecke neu asphaltiert? Wo stehen die Bergekräne? Wo gibt es Video-Wände, an denen sich ein Blick aufs Fernsehbild erhaschen lässt? Jedes Detail kann wichtig werden. Auf die Praxis folgt die Theorie: Die Besprechung mit den Ingenieuren steht an. Mit welchen Einstellungen, mit welcher Strategie geht es los? Diese Runden sind nicht wirklich Runden. Die Gremien tagen an einer langen Tafel. Auf der einen Seite Sebastian Vettel und seine Ingenieure, jeder mit einem Laptop vor sich. Direkt gegenüber der Teamkollege und dessen Team. Es ist ein Miteinander, das auch ein Gegeneinander ist. Der Einzige im Feld, der das gleiche Auto bewegt und somit die gleichen Chancen hat, ist ein wichtiger Maßstab und der erste Gegner.
Warmlaufen
Gefahren wird am Donnerstag nicht. Keinen Meter. Aber es wird viel gesprochen. Die Formel 1 ist eine Verkaufsschau. Jeder, der antritt, wirbt für etwas. Die Sponsoren wollen auf Bilder. Deshalb tragen alle Fahrer Teamkleider, auf denen die Namen der Geldgeber prangen. Die McLaren-Fahrer ziehen sich zwischen der Siegerehrung und der Pressekonferenz nach dem Rennen sogar extra um und streifen über die champagnerverklebten Overalls frische, blütenreine Jacken, auf denen die Werbebotschaften gut zu lesen sind. Doch auch die Fahrer nutzen das Prinzip Öffentlichkeit für ihre Zwecke. Die Auftritte vor der Presse bieten die Gelegenheit, in eigener Sache Werbung zu betreiben, die Erwartungen anzuheizen – oder zu dämpfen. Den Rivalen Druck zuzuschieben oder vom Teamkollegen Hilfe einzufordern. Fernando Alonso hielt das so, 2006 in Suzuka, als er mit Michael Schumacher um den Titel kämpfte. »Das ist wie bei der Tour de France, wenn man am Berg einen Platten hat und der Teamkollege fährt mit dem ärgsten Rivalen einfach davon. Das ist ein wenig schwer zu verstehen«, klagte der Spanier damals über seinen Renault-Kollegen Giancarlo Fisichella, weil der bei einem Rennen Schumacher nicht aufgehalten hatte, als Alonso Reifenprobleme gebremst hatten.
Sebastian Vettels Auftritt vor der extra aufgebauten Wand mit den Namen der Teamsponsoren für die Kameras der deutschsprachigen Sender dauert an diesem Donnerstagnachmittag in Suzuka 7 Minuten
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