Polgara die Zauberin
Waffenstillstand hinzunehmen und dem sendarischen Botschafter mehr oder weniger befohlen hatte, die Rolle des Verbindungsmannes zwischen Asturien und Mimbre zu übernehmen, trafen wir Anstalten, die goldene Stadt zu verlassen. Bevor wir jedoch gingen, warf ich einen sehr eingehenden Blick auf Aldorigens sandhaarigen kleinen Sohn Korodullin. Er war, wenn ich mich recht entsinne, acht oder neun Jahre alt. Um ehrlich zu sein, der Gedanke an einen Zufall kam mir gar nicht erst. Es überraschte mich allerdings ein wenig herauszufinden, daß die ›Glocke‹, die hin und wieder in meinem Kopf erklingt, nicht ausschließlich von Nachkommen Beldarans und Eisenfausts in Schwingungen versetzt wurde. Auch andere vorherbestimmte Verbindungen brachten sie zum Läuten. Ich erinnere mich noch deutlich, wie ich sie vernahm, als Relg und Taiba einander begegneten. Seltsamerweise blieb sie stumm, als ich Durnik traf.
Aldorigen stellte uns Pferde zur Verfügung, und so überquerten Vater und ich, dicht vermummt, um den nicht endenwollenden Regen abzuhalten, den Arend auf einer Furt etwa dreißig Meilen flußabwärts von Vo Mimbre und trotteten weiter in südlicher Richtung durch Nordtolnedra zu jener strahlenden Insel, die Tol Honeth heißt.
Als wir den marmorverkleideten kaiserlichen Palast erreichten, wurden wir ohne Aufsehen und die übliche Verzögerung vor den Kaiser geführt. Vaters früherer Besuch hatte Ran Borune glauben gemacht, Vater sei ein Gesandter der alornischen Könige, was zwar nicht ganz der Wahrheit entsprach, jedoch auch nicht einer gewissen Basis entbehrte – denke ich. Die Vernichtung Drasniens hatte Ran Borunes Augenmerk vornehmlich auf die Königreiche des Nordens gelenkt. Er gierte geradezu nach jeder Information, die er bekommen konnte. »Ah, da seid Ihr ja, Belgarath«, sagte er ohne Umschweife, als wir in sein recht pompös geschmücktes Arbeitszimmer eskortiert wurden. »Furchtbar, diese Sache mit Drasnien. Bitte richtet Rhodar mein tiefstes Mitgefühl aus, wenn Ihr ihn das nächste Mal seht. Haben die Alorner schon eine Ahnung, wo Kal Torak das nächste Mal zuschlagen wird?«
»Vage, Euer Kaiserliche Majestät«, erwiderte Vater. »Oh, übrigens, dies ist meine Tochter Polgara.«
»Reizend, reizend«, antwortete der junge Kaiser abwesend. Das ließ sich nicht gut an mit Ran Borune und mir. »Ich muß wirklich wissen, wohin Torak als nächstes marschiert, Belgarath. Habt Ihr denn keine Spione in seiner Armee?«
»Ich würde sie nicht Spione nennen, Ran Borune«, gab Vater ein bißchen säuerlich zurück. »Kal Torak hat keine NichtAngarakaner in seiner Armee – zumindest noch nicht. Wir konnten keine Melcener oder Dalaser oder Karandeser in seinem Heer entdecken.«
»Haben die Alorner schon irgendeinen Plan?«
»Nichts Bestimmtes. Sie versuchen, Verteidigungskräfte an allen möglichen Fronten zu stationieren. Unser größter Trumpf ist die Beweglichkeit der Alorner. Diese cherekischen Kriegsschiffe können in kürzester Frist eine Armee an jedem Ufer der westlichen Welt absetzen. Die Verteidigungskräfte in Algarien, Cherek und Sendarien sollten ausreichen, Torak so lange aufzuhalten, bis Verstärkungen eintreffen.«
»Geben diese religiösen Schriften irgendeine Andeutung preis?«
»Ihr meint die Prophezeiungen?«
»Ich hasse dieses Wort«, entgegnete Ran Borune ein wenig abwesend. »Das riecht nach Aberglauben.«
»Vermutlich«, räumte Vater ein, »aber es bestehen genügend Übereinstimmungen zwischen den alornischen und den angarakanischen Prophezeiungen, um uns ein paar Hinweise darauf zu geben, was dieser Bursche, der sich Kal Torak nennt als nächstes versuchen wird. Ein Mann, der sich für einen Gott hält, bemüht sich für gewöhnlich jede Prophezeiung zu erfüllen, die dazu angetan ist, seine Göttlichkeit zu beweisen.«
Ein Wort an dieser Stelle. Bitte beachtet, daß weder Vater noch ich Ran Borune offen sagten, daß dieser Eroberer aus dem Osten tatsächlich Torak höchstpersönlich war. Er sollte glauben, wir hätten es vielmehr mit einem angarakanischen Verrückten zu tun. Es hatte keinen Sinn, die tolnedrische Befindlichkeit zu verletzen, indem man mit ihnen über Theologie stritt, wenn es einfachere Wege gab, sie zur Zusammenarbeit zu bewegen.
»Das habe ich wohl nicht bedacht«, gab Ran Borune zu. »Werden die Alorner einige meiner Legionen im Norden brauchen?«
»Ich glaube nicht. Trotzdem vielen Dank.«
»Beabsichtigt Ihr und Lady Polgara lange hier zu bleiben? Darf ich Euch die
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