Polgara die Zauberin
rivanische König und der ›Oberste Herr des Westens‹ war, aber in Gerans Augen waren das lediglich Titel. Vater war einfach ›Vater‹, egal, wie andere ihn nennen mochten. Vaters Gesicht war ziemlich gewöhnlich – es sei denn, es passierte irgendein Notfall. Dann war Vaters Gesicht das am wenigsten gewöhnliche auf der ganzen Welt. Diese seltenen Notfälle zwangen Vater manchmal, sein Schwert zu holen, und wenn das geschah, suchten die meisten vernünftigen Leute Deckung.
In der einbrechenden Dämmerung begutachtete Vater das Werk seines Sohnes mit ernster Miene. »Nette Soldaten«, urteilte er.
»Sie würden noch viel besser aussehen, wenn du mir erlauben würdest, ein paar Sachen aus der Waffenkammer zu borgen«, sagte Geran hoffnungsvoll.
»Das wäre wahrscheinlich keine gute Idee, Geran«, entgegnete Vater. »Es sei denn, du möchtest den ganzen Sommer damit zubringen, den Rost wieder abzuschleifen.«
»Oh, daran hatte ich nicht gedacht«, gestand Geran.
»Man ist neugierig zu erfahren, wie dein Tag gewesen ist«, wandte Vater sich höflich an Wolf.
»Er war zufriedenstellend«, antwortete Wolf.
»Man ist erfreut daß du es so empfunden hast.«
Vater und Geran achteten sorgfältig darauf, in Mutters Beisein nicht Wölfisch zu sprechen. Mutter mochte keine ›Geheimsprachen‹. Sie schien immer der Meinung zu sein, daß Leute, die sich in fremden Sprachen unterhielten, über sie reden würden. Geran mußte zugeben, daß ihr Verdacht recht häufig zutraf. Die Leute redeten viel über Mutter, und Geheimsprachen wie Wölfisch oder die drasnische Fingersprache hatten den Vorteil, den Geräuschpegel auf der Insel der Winde niedrig zu halten. Geran liebte Mutter, aber sie war leicht erregbar.
»Hattest du einen schönen Tag, mein Liebling?« fragte Mutter, als Geran und Vater die königlichen Gemächer betraten, nicht ohne sich zuvor pflichtschuldig im Gang draußen die Füße abgetreten zu haben. Von Wolf und seinen Pfoten konnte man das natürlich nicht verlangen, aber er hatte sich schon mit Zähnen und Zunge das Eis zwischen den Klauen herausgeholt, so daß er wirklich nicht viel Wasser hereinbrachte.
»Es war einfach bärenstark, Mutter«, gab Geran zur Antwort. Alle Jungen, die Prinz Geran kannte, benutzten bei jeder Gelegenheit das Wort ›bärenstark‹, und da Geran sehr modebewußt war, schmückte er seine Rede mit jeder Menge ›bärenstarks‹. Was wollte man, es war schließlich modern.
»Dein Bad ist fertig, Geran«, teilte Mutter ihm mit.
»Ich bin eigentlich gar nicht schmutzig, Mutter«, erwiderte er ohne nachzudenken. Dann biß er sich auf die Zunge. Warum plapperte er nur so drauflos, ohne vorher an die Folgen zu denken?
»Es ist mir egal, ob du das glaubst!« erklärte Mutter mit einer Stimme, die um mehrere Oktaven anstieg. »Ich habe dir gesagt du sollst baden gehen! Und jetzt ab mit dir!«
»Ja, Mutter.«
Mit einigen kaum erkennbaren Fingerbewegungen riet Vater Geran: »Tu besser, was sie sagt. Sonst gibt's Ärger.«
Geran seufzte und nickte. Er war inzwischen fast so groß wie Mutter, aber in seinem Bewußtsein ragte sie noch immer turmhoch und drohend über ihm auf. Prinz Geran war sieben Jahre alt, und Wolf betrachtete ihn als Erwachsenen. Geran meinte, diese Reife gebe ihm das Recht auf ein bißchen Respekt, aber von Mutter bekam er nicht viel davon. Er fand das wirklich nicht fair.
In einem Haus mit Mutter zu leben, war ein ständiges Abenteuer. Geran hatte längst herausgefunden, daß der beste Weg, die Aufregung in Grenzen zu halten, darin bestand, genau das zu tun, was sie ihm sagte. Prinz Geran war zu der Einsicht gelangt, daß er nicht der einzige war, der diese Erfahrung gemacht hatte. Das unausgesprochene Motto der ganzen Burg – wahrscheinlich der ganzen Insel der Winde – lautete: »Verärgert bloß die Königin nicht!« Die Rivaner verehrten ihre winzige Königin aber nichtsdestotrotz, und so viel Mühe bereitete es ja auch nicht, genau das zu tun, was sie sagte. Für Königin Ce'Nedras Zufriedenheit zu sorgen, war eine Art nationale Notwendigkeit, und auch dem Letzten die Wichtigkeit dieser Aufgabe vor Augen zu führen eine der Hauptaufgaben von Kail, dem rivanischen Wächter.
Nachdem Prinz Geran ein ziemlich flüchtiges Bad genommen hatte, schloß er sich dem Rest der Familie im Speisesaal der königlichen Gemächer an. Er hatte allerdings dafür gesorgt, daß seine Ohrmuscheln noch ein wenig feucht waren. Mutter legte großen Wert auf saubere Ohren. Prinz Geran war der
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