Polgara die Zauberin
schwieriges gedankliches Konzept zu erklären. »Alle Menschen sind verschieden«, begann sie, »aber auch die einzelnen Rassen besitzen Merkmale, die sie unterscheiden. Wenn du einem Alorner begegnest erkennst du ihn sofort an seinem Aussehen. Aber du kannst auch seinen Geist erkennen, wenn du ihm begegnest.«
»Du willst mir beibringen, wie ich die Gedanken von anderen Leuten hören kann?«
»Dazu kommen wir vielleicht später. Das ist komplizierter, also laß uns uns zunächst auf diese Aufgabe konzentrieren. Wenn du die Rasse oder den Stamm eines Fremden feststellen möchtest konzentrierst du dich nicht darauf, was er denkt sondern wie er denkt«
»Warum ist das so wichtig, Mutter?«
»Wir haben Feinde da draußen in der Welt Pol. Du wirst sie erkennen müssen, wenn du ihnen begegnest. Der Meister hat mich gelehrt die Denkweise der verschiedenen Rassen nachzuahmen, so daß ich dir jetzt zeigen kann, wie man einen Murgo und einen Grolim oder einen Arender und einen Marager voneinander unterscheidet. Es wird Zeiten geben, wenn deine und die Sicherheit deiner Schutzbefohlenen von deiner Fähigkeit abhängen, zu erkennen, wer sich in deiner Nähe aufhält«
»Das klingt, als wäre es wichtig. Wie gehen wir vor?«
»Öffne einfach deinen Geist Pol. Unterdrücke deine eigene Persönlichkeit und erspüre das Wesen der verschiedenen Denkweisen, die ich dir zeige.«
»Gut«, sagte ich ein wenig unschlüssig, »ich werd's versuchen, aber es klingt schrecklich kompliziert.«
»Ich habe nicht behauptet, es sei einfach, Pol. Sollen wir anfangen?«
Nichts von alledem ergab anfangs viel Sinn für mich. Mutter schickte mir denselben Gedanken wieder und wieder, wobei sie nur die Art und Weise seiner Darbietung änderte. Der Durchbruch kam, als ich erkannte, daß zu den verschiedenen Denkmustern verschiedene Farben zu gehören schienen. Es sprang nicht direkt ins Auge, aber sie hatten eine blasse Schattierung. Mit der Zeit jedoch wurden diese Farben ausgeprägter, und ich erkannte die alornische oder tolnedrische oder murgosische Denkweise fast unverzüglich.
Das Murgodenken, das Mutter für mich heraufbeschwor, war sehr dunkel, eine Art stumpfes Schwarz. Das Grolimdenken ist im Gegensatz dazu von einem harten, glänzenden Schwarz. Ich vermochte den Unterschied fast auf der Stelle zu sehen – oder zu spüren.
Sendarer sind grün, Tolnedrer rot. Rivaner sind natürlich blau. Immer besser erkannte ich die verschiedenen Farben, und gegen Mittag stellte ich mich schon recht geschickt an.
»Das reicht für heute, Pol«, teilte Mutter mir mit. »Geh wieder in den Turm und verbringe den Rest des Tages über deinen Büchern. Wir wollen doch nicht, daß dein Vater Verdacht schöpft.«
Und so kehrte ich zum Turm zurück, womit ich ein Muster geschaffen hatte, das von nun an für eine Reihe von Jahren bestimmend sein sollte – der Morgen gehörte Mutter, die Nachmittage Vater. Ich erhielt zwei Ausbildungen gleichzeitig, was manchmal ein kleines bißchen anstrengend war.
Am nächsten Morgen überprüfte Mutter meinen Wissensstand, indem sie mir blitzartig mehrere Denkmuster übermittelte. »Sendarisch«, erkannte ich eine grünlich gefärbte Gedankenwelt, »murgosisch«, einen stumpfschwarzen Gedanken. »Arendisch.« Dann: »Tolnedrisch.« Je länger ich übte, desto rascher konnte ich sie einordnen.
»Also gut«, sagte Mutter. »Machen wir weiter. Es wird Zeiten geben, da mußt du die Gedanken deiner Freunde abschirmen – sie einschläfern, könnte man sagen, aber es ist eigentlich kein Schlaf.«
»Aus welchem Grund sollte ich das tun?«
»Wir sind nicht die einzigen auf der Welt, die Gedankenmuster erkennen können, Pol. Die Grolims beherrschen es auch, und jeder, der sich dieser Kunst bedient kann einen Gedanken bis zu seinem Ursprung zurückverfolgen. Wenn du dich verstecken möchtest, willst du schließlich niemand neben dir stehen haben, der aus voller Seele brüllt«
»Nein, vermutlich nicht. Wie stelle ich es an, ein Großmaul zum Schlafen zu bringen.«
»Es handelt sich nicht wirklich um Schlaf, Pol«, berichtigte sie mich. »Die Gedankenmuster, die du gerade zuzuordnen gelernt hast sind im Kopf eines Schläfers noch genauso vorhanden. Du mußt also lernen, seine Gehirntätigkeit völlig abzuschalten.«
»Würde ihn das nicht umbringen? Würde sein Herz dann nicht aufhören zu schlagen?«
»Nein. Derjenige Teil des Gehirns, der das Herz schlagen läßt befindet sich so tief unterhalb der Oberfläche, daß er
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