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Polgara die Zauberin

Polgara die Zauberin

Titel: Polgara die Zauberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Eddings
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– Eltern; der noch unfertige Geist braucht Feindbilder, an denen er sich reiben kann. Diese abendlichen Unterhaltungen mit meinem Vater kurierten mich ziemlich schnell von dieser Illusion. Seine gedankliche Tiefe überwältigte mich manchmal geradezu. Gütige Götter, dieser alte Mann weiß eine Menge!
Es war nicht nur mein wachsener Respekt vor diesem unerschöpflichen Wissensschatz, der mich dazu bewog, mich ihm eines Abends, als wir den Abwasch erledigten, als Schülerin anzubieten. Der Meister – und Mutter – hatten bei dieser Entscheidung auch ihre Hand im Spiel. Ihre ständigen Einwürfe, ich sei eine ungebildete Göre, hatten viel mit meinem Vorschlag zu tun.
Vaters erste Reaktion brach sofort einen Streit vom Zaun. »Wozu brauche ich denn den Quatsch?« ereiferte ich mich. »Kannst du mir nicht einfach sagen, was ich wissen muß? Warum muß ich dazu lesen lernen?«
Er war diplomatisch genug, um mir nicht ins Gesicht zu lachen. Dann erklärte er mir geduldig, warum ich unbedingt lesen können mußte. »Die Summe des menschlichen Wissens ist dort gesammelt, Pol«, erklärte er und zeigte auf die Bücher und Schriftrollen, welche die Wände des Turms verbargen. »Du wirst es brauchen.«
»Wozu um alles auf der Welt? Wir haben ›Talent‹, Vater, im Gegensatz zu den Primitivlingen, die all diesen verstaubten Unsinn da geschrieben haben. Was können sie schon hingekritzelt haben, das einem von uns nützen könnte?«
Er seufzte und verdrehte die Augen. »Warum ich?« fragte er. Ganz offensichtlich redete er nicht mit mir. »Na gut, Pol«, sagte er dann, »wenn du so klug bist, daß du es nicht für notwendig erachtest, lesen zu lernen, dann vermagst du mir vielleicht ein paar Fragen zu beantworten, die mich nun schon seit geraumer Zeit beschäftigen.«
»Selbstverständlich, Vater«, gab ich zurück, »mit Vergnügen.« Man bemerke, daß ich sehenden Auges in seine Falle tappte.
»Wenn du zwei Äpfel hier und zwei Äpfel dort drüben hast, wie viele hast du dann insgesamt?« Wenn mein Vater eine Lektion beginnt, an deren Endpunkt das demütige Eingeständnis der Unwissenheit von Seiten seines Schülers stehen soll, dann fängt er immer so an.
»Vier Äpfel natürlich«, entgegnete ich rasch – zu rasch, wie sich herausstellen sollte.
»Warum?«
»Was meinst du damit, ›warum?‹. Es ist eben so. Zwei Äpfel und zwei Äpfel ergeben zusammen vier Äpfel. Jeder Idiot weiß das.«
»Da du ganz gewiß kein Idiot bist, dürfte es dir keine Schwierigkeiten bereiten, es mir zu erklären, nicht?«
Ich starrte ihn hilflos an.
»Aber wir können später darauf zurückkommen. Etwas anderes: Wenn ein Baum im Wald umkippt, entsteht ein Geräusch, richtig?«
»Selbstverständlich, Vater.«
»Sehr gut, Pol. Was ist ein Geräusch?«
»Etwas, das wir hören.«
»Ausgezeichnet. Du bist wirklich sehr klug, meine Tochter.« Dann runzelte er die Stirn, ein bißchen affektiert, wie mir scheinen wollte. »Aber da gibt es ein Problem. Was ist, wenn niemand in der Nähe ist, um das Geräusch zu hören? Ist es dann trotzdem da?«
»Aber gewiß, doch.«
»Warum?«
»Weil –« An diesem Punkt geriet ich ins Schwimmen und verstummte.
»Laß uns das wie auch unser erstes Problem zunächst zurückstellen und fortfahren. Glaubst du, die Sonne wird morgen früh aufgehen?«
»Nun, natürlich wird sie das.«
»Warum?«
Ich hätte mittlerweile mit dem ›Warum?‹ rechnen müssen, aber ich war so verblüfft von seinen scheinbar simplen Fragen, daß ich schon ohne nachzudenken geantwortet hatte. »Also«, meinte ich lahm, »das ist schon immer so gewesen, nicht wahr.«
In diesem Augenblick erhielt ich eine sehr schnelle und sehr demütigende Lektion in Wahrscheinlichkeitstheorie.
»So, dann wollen wir jetzt mal weitersehen«, sagte er liebenswürdig. »Warum verändert der Mond seine Gestalt im Verlauf des Monats?«
Ich starrte ihn hilflos an.
»Warum wallt Wasser auf, wenn es heiß wird?«
Selbst die Frage konnte ich nicht beantworten, obwohl ich die ganze Kocherei erledigte! Er machte weiter – und weiter, und weiter.
»Warum sehen wir im Dunkeln keine Farben?«
»Warum ändert sich die Farbe des Laubs im Herbst?«
»Warum friert Wasser zu Eis, wenn es kalt wird? Und warum verdampft es, wenn es heiß wird?«
»Wenn es hier Mittag ist, warum ist es dann Mitternacht in Mallorea?«
»Kreist die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne?«
»Wo kommen die Berge her?«
»Was läßt die Pflanzen wachsen?«
»Schon gut, Vater!« rief ich aus.

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